Bis ans Ende der Welt
einen Gedanken, diesen Trubel so schnell wie möglich zu verlassen, was ich fast panisch tat. Und als ich endlich hindurch war, fühlte ich mich wie ein Hase, der versehentlich auf die Autobahn geriet, und nun am anderen Ende ausschnauft. Und die Hatz wollte hier noch nicht enden, denn plötzlich tauchten wie hergezaubert überall neue Autos und Touristen auf. Mitten am Weg, in einem gottverlassenen Kuhdorf, sprang plötzlich eine alte Bäuerin aus dem Haus und drängte mir einen noch warmen Pfannkuchen auf. Den müsse ich unbedingt probieren, meinte sie, doch sobald ich es verdattert tat, verlangte sie Geld. Das hat sie sich zugegebenen Maßen auch irgendwie verdient, doch fühlte ich mich überrumpelt. Vor dem nächsten Paß stieß ich noch auf eine Gruppe englischer, dann auch deutscher Radfahrer, die gerade ihre Drahtesel aus dem Bus luden, um diese bevorzugte, szenisch anspruchsvolle Wahlstrecke auf dem Camino zu befahren. Nach einer Weile, im steilsten Abschnitt der Paßstraße, holten sie mich dann in Masse ein und quälten sich, allesamt schon ältere Herrschaften, keuchend, schwitzend, in letzten Zügen sozusagen, an mir vorbei. Es war sehr stressig – für beide Seiten, denke ich. Einer der Engländer aber hatte Erbarmen mit uns beiden, stieg ab und begleitete mich bis zum Gipfel, wofür ich ihm sehr dankbar war. Es war ein gutes Gespräch und nahm der Sache den Stachel. Ich verlor die Radler oben auf der Paßhöhe, kahl, grau und windig, wo sie wieder vom Bus oder dem Widerborstigen aufgelesen und weggeschafft wurden. Der Platz war mit Ausnahme einer riesigen Pilgerstatue leer und verlassen, und ich fragte mich, wo wohl die vielen Pilger bleiben mögen, die ich noch unten im Tal zu sehen bekam. Nicht, daß sie mir gefehlt hätten. Aber es waren Hunderte, die auf dem jeweiligen Tagesabschnitt unterwegs waren, und ihre Abwesenheit an diesem einsamen Ort fiel auf.
Das Bierzo und somit Kastilien-León lagen nun hinter mir, unten im Tal schimmerte das grüne Galicien. Ein Keltenland und anders als das übrige Spanien. In der kalten Einsamkeit vermißte ich plötzlich den Grenzstein, auf den ich mich schon seit Tagen freute, und den ich stumpf und blind irgendwo passiert haben muß. Auch die grandiose Landschaft, so kam es mir, Gottes herrliche Schöpfung, habe ich heute nicht genug beachtet, gewürdigt, gepriesen. Immerhin ist es vermutlich die attraktivste auf dem Camino Francés . Verschleißerscheinungen machten sich da bemerkbar. Doch ein Abstumpfen gleich welcher Art konnte und wollte ich mir jetzt, so kurz vor dem Ziel, auf keinen Fall leisten. Ein Wegstein kündigte Santiago de Compostela nach nur 130 Kilometern an. Drei bis vier Tage zu marschieren, nicht mehr. Dort sollte ich nicht schlechter ankommen, als ich gestartet bin. Wach auf, meine Seele! / Wacht auf, Harfe und Saitenspiel! Ich will das Morgenrot wecken. Ich will dich vor den Völkern preisen, Herr, dir vor den Nationen lobsingen. Denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, deine Treue, so weit die Wolken ziehn. [76] So gelangte ich auf schmalen, mit Efeu und allerhand Grün verwachsenen Wegen nach Triacastela, meinem heutigen Ziel. Die Herberge dort war schön auf einer Wiese gelegen, moderne Häuser aus rotem Stein, alles fast neu, doch wieder einmal schon heruntergewirtschaftet. Die Küche besaß kaum Geschirr, wohl damit die Gäste auswärts essen. Um zu duschen, hatte man gleichzeitig zwei Knöpfe dauerhaft zu drücken, was die Reinigung so ziemlich komplizierte. Beabsichtigt war wohl der sparsame Umgang mit Wasser. Und die Toilettenboxen waren so kurz bemessen, daß man ab Kindergröße sein Geschäft nur bei offener Tür verrichten konnte. Aber ich war an dem Tag noch früh dran und hatte um diese Zeit die Einrichtung fast nur für mich. Später ruhte ich auf der Holzbank der verglasten Aufenthaltsecke, die es hier auf jedem Stockwerk gab. Auf die Ortbesichtigung verzichtete ich, und ich glaube nicht, daß ich viel versäumte. Triacastela war ein Kaff, wie ich mich am nächsten Tag selbst überzeugen konnte. Einkaufen wäre vielleicht sinnvoll gewesen, da ich kaum noch was zu essen hatte, doch von Laufen hatte ich genug. Herumsitzen, Faulenzen, Lesen, andere Leute zu beobachten und auszufragen, war besser. So lernte ich auch ein deutsch-holländisches Ehepaar kennen, das ein Loblied auf die spanische Gastfreundschaft sang, sie seien auf einem Rastplatz von liebevollen Einheimischen mit gutem Essen traktiert worden. Was zwar
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