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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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selten sein mag, doch grundsätzlich nicht in Abrede gestellt werden kann. Die schon älteren Herrschaften priesen die gute Tat in Höchsttönen, boten mir aber ihrerseits nichts von den mitgebrachten Leckerbissen und dem Wein an, um sie zu vermehren. Ich trug es ihnen nicht nach und übte mich weiter in kühner Enthaltsamkeit. Hier wurde sowieso kaum noch geteilt, die meisten waren sich selbst die Nächsten. Und mir stand der Weg zum Einkaufsladen ja immer offen. Mein Zimmernachbar, ein junger, sympathischer Spanier, brach gleich nach dem Duschen in die Stadt auf. Ihn hätte ich nach seiner Rückkehr ob der Entfernung zum nächsten Laden fragen können. Aber er kehrte an diesem Tag nicht mehr zurück, blieb sozusagen verschollen. So hatte ich das Zimmer für mich ganz allein, machte mir jedoch Sorgen um ihn, wenn ich in der Nacht aufwachte und das leere Bett sah. Sein Ausbleiben war bestimmt nicht beabsichtigt, sonst hätte er sein Gepäck wohl mitgenommen. Dennoch murrte ich, er hätte doch was sagen können. Am nächsten Tag, als wir in den kalten Morgen hinausgejagt wurden, stand sein Rucksack immer noch ungeöffnet und unberührt auf dem Bett, wo er ihn am Abend hingestellt hat.
Barbadelo, km 2841
    Das war gewiß nicht gut für ihn. Das schrie geradezu nach Rechtfertigung vor dem Herbergsvater. Hier herrschten überall strenge Sitten, um undisziplinierten Weltenbummlern, Billigurlaubern und Erlebnissuchern das Leben schwerer zu machen. Erst kürzlich wurde die Zahl der Pflichtstempel auf den letzten hundert Kilometern vor Santiago, der kleinsten amtlich anerkannten Pilgerstrecke, auf zwei pro Tag erhöht. Mit gutem Grund. Es war zu einfach, von Herberge zu Herberge mit dem Taxi zu fahren, den Tag und womöglich auch die Nacht bei Wein und gutem Gespräch in der Kneipe zu verbringen, und dazwischen etwas spazieren zu gehen. Zumal die Nationalstraße Nr. 1 immer entlang des Camino verlief, und viele der Pilgeranwärter den Strapazen spätestens nach einer Woche einfach nicht mehr gewachsen waren. Eine Blase wie ein Hühnerei oder ein Knie wie ein Ball sprachen für sich allein. All das aber zählte rein gar nichts bei den Verwaltern, das Leiden sollte sein, gehörte sozusagen zur seelischen Reinigung dazu. So wurde die Herberge abends um acht Uhr zugesperrt und hatte um die selbe Stunde am Morgen wieder leer zu sein, damit sie gleich wieder zugesperrt werden kann. Dazwischen gab es keinen Weg hinein oder hinaus, damit da nicht womöglich einer seinen Rausch ausschläft. Da waren die Spanier geschickte Planer. Sie wußten über den willigen Geist und das müde Fleisch mit seinen Versuchungen, über Zucht und Ordnung gut Bescheid. Simon, ein sympathischer Junge, der von Nürnberg zu Fuß unterwegs war, erzählte mir, wie so ein Herbergsvater einem Pilger, der sich an die vorgegebenen Öffnungszeiten nicht halten und am Morgen unbedingt vorzeitig aufbrechen wollte, gar das Pilgerbuch zerriß, was schließlich zu einem solidarischen Aufstand der Gäste führte. Das mit dem Aufstand war wohl etwas weit hergeholt, da die meisten Pilger sprichwörtlich brav wie die Schafe waren, und die Frühaufsteher meist als lästiges, verbissenes Volk verachtet wurden. Doch immerhin hätten in diesem Fall die Rebellen das kostenfreie Frühstück boykotiert und seien statt dessen fast eine Stunde packfertig demonstrativ vor der verschlossenen Tür gestanden, bis zur gegebenen Stunde aufgemacht wurde. Und wo die Autorität der Herbergsväter nicht ausreichte, sollte die Pilgerpolizei für Zucht und Ordnung sorgen. Die gab es hier in Galicien zusätzlich zu den fünf anderen Polizeiarten, die ein Spanier im Alltag dringend braucht. Für oder gegen die Pilger? Das ist die Frage. Ansonsten müßten wieder mal die Terroristen dafür herhalten. Die schwarzen Sheriffs traf ich an allen Ecken, auch einfach so in der freien Landschaft. Sie fuhren dicke, amerikanische Pickups und waren schick mit Fallschirmstiefeln, Gelenkschutz, Panzerweste, Handschellen und einem verchromten 385er Revolver gekleidet. Spezialmunition, versteht sich, sehr eindrucksvoll. Schließlich ist die Kundschaft ja aus dem westlichen Ausland und Qualität gewohnt. Für mich persönlich waren sie ein Affront. Gefährliche Schmarotzer. Ich verachtete sie und ignorierte sie auch, wenn sie mich direkt ansprachen. Die Gefahr war allerdings gering. Meist sah ich sie irgendwo in der Ecke hocken und dösen. Die Kerle waren ja vom harten Dienst am Pilger völlig fertig.
    Aber wozu

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