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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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die Aufregung? Ich war wieder allein mit meinen Gedanken durch das welke Spätsommergrün unterwegs, und fühlte mich wohl. Der Herr trieb sich irgendwo in der Nähe herum, und der Tag versprach, nun noch schön zu werden. Nach dem gestrigen Gewitter am Abend war es angenehm frisch und kühl. Von Madrid bis Sevilla gingen nach langer Trockenzeit gewaltige Gewitter nieder, die alles platt schlugen und überfluteten. Es hätte mich auch ungeschützt irgendwo im Gebirge erwischen können, doch ich nahm es längst gelassen. Nichts konnte mir geschehen, wenn der Herr da war. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen. [77] Damit rechnete ich längst fest, auch wenn ich mir nicht immer sicher war, meine Hausaufgaben gemacht zu haben. Immerhin bin ich etwas demütiger geworden. Soweit es meiner Unbotmäßigkeit möglich war. Doch ein gewisser Fortschritt ließ sich nicht leugnen. Ich ertrug Hitze und Kälte, Hunger und Durst, Fieber und Schmerzen, giftige Wanzen, drängelnde Radfahrer, italienische Schnarcher, iberische Schwätzer und impertinente Angeber aus dem Ruhrpott. Ein guter Anfang für das, was in meinem Leben noch kommen mochte. Was aber wollte denn noch kommen? Ich hatte ja keine Pläne über das hier hinaus. Und war es denn überhaupt genug vor dem Herrn? Die Pilgerschaft neigte sich nun unaufhaltsam dem Ende zu, der Fluß sollte sich ins Meer ergießen und darin aufgehen. Darüber konnte ich nur staunen, da es so unvorbereitet kam. Doch ich hatte Vertrauen. Der Herr war wieder da, nichts konnte schiefgehen, alles war richtig so, wie es eben war. Ich spürte, Gottes Schöpfung ist perfekt, bis zum letzten Winkel, trotz Tod, trotz Schmerz, trotz Leiden. Weil es den Trost gibt. Auch jenseits aller Hoffnung. Ich erinnerte mich plötzlich, wie ich nach dem Unfall da lag, eine schwarzlederne zerbrochene Hülle auf weißen Flußkieseln, die ich, schon davon schwebend, bereit war aufzugeben, bis eine Frau meine Hand nahm und mich nicht losließ, bis ich in meinen Körper zurückehrte und den mickrigen slowenischen Polizisten verachten konnte, der sich aufregte, was denn dieser blöder Kerl da im Dreck so schreien müsse. Und als es die Frau nicht mehr aushielt, hielt ihre Tochter meine Hand und danach die junge Ärztin im Krankenwagen. Es gibt den Trost.
    Ich sah die Luft über dem Tal weicher, diffuser zu werden. Spektakulär waren die Hohlwege in den Laubwäldern. Alles ordentlich romantisch mit Moos und Efeu bewachsen. Wie in einem verzauberten Märchenwald. Ich sah die Ruhe, das Lichtspiel, die Schönheit. Keine Autos, keine Radfahrer, wie herrlich. So gelangte ich nach Barbadelo, einen mickrigen Weiler aus großen grauen Steinen zusammengefügt, das denkbar uralt sein mußte. Die Herberge am Rande war allerdings neu. Und wieder einmal voller Mängel. Kaum Duschen, kaum Toiletten, überhaupt kein Geschirr in der Küche, nicht einmal ein Becher oder eine Wasserkanne. Ich hätte wetten können, daß sie noch nie benützt wurde. Dafür florierte unweit davon ein nettes kleines Landgasthaus, bei dem um diese Zeit die betuchten Pilger gruppenweise in Taxis ankamen. Sie kamen in guter Stimmung, und es war schön anzusehen, daß ihnen die Pilgerschaft richtig Spaß macht. Ich las die ausgehängte Speise- und Weinkarte und fand, daß sie dazu jeden Anlaß hatten. Auch ich hätte mich verführen lassen mögen, aber das Abendessen gab es erst ab zwanzig Uhr. Zu spät. So verzog ich mich zum Dinner auf einen kleinen Hügel, unter dem ein altes Kastell begraben liegen mochte, und genoß von dem, was es in einem fahrbaren Kiosk hinter der Herberge zu kaufen gab. Von da kam auch eine Pulle billigen Rotwein, der hier freilich etwas teuerer als sonst verkauft wurde, der jedoch gar nicht so schlecht war, als daß man sich über den Preisaufschlag ärgern müßte. Wie zwei fetten Spinnen lauerten Restaurant und Kiosk über der Herberge, um in aller Gemütlichkeit von den Pilgern zu zehren. Der herrliche Blick war jedoch gratis.
    Wieder zurück im Schlafsaal traf ich auf Simon. Mit dem verstand ich mich inzwischen wirklich gut. Auch schon deshalb, weil er ein Zwillingsbruder von Christopf hätte sein können, mit dem ich in der Schweiz ein paar Tage bis Lausanne unterwegs war. Er trug dasselbe rote, auf die maurische Art geflochtene Haar, Gesicht, Figur, Größe, Ausdruck, alles war ihm zum Verwechseln ähnlich. Manche Menschen haben scheinbar doch einen Doppelgänger. Beide hatten wir fast

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