Bis ans Ende der Welt
Übernachtungsgeld zu kassieren. Auch er war von der schnellen, entschlossenen Sorte. Das war hier der Spiritus loci . In diesem Dorf wurde nicht gefackelt, sondern gehandelt. Der Mann sammelte das Geld ein, prüfte die Pilgerbücher, stempelte sie aber wie zögerlich, als ob er ernste Zweifel an der Berufung ihrer Träger hegen würde, bohrte lieber doch noch mal nach, um dem Pilgerbetrug keinen Vorschub zu leisten. Wer kein Pilgerbuch hatte, flog einfach raus. Wer zu viele Stempel von Bars und Campingplätzen hatte, oder sich durch unpassende Ort- und Zeitangaben verdächtigt machte, hatte sich zu verantworten. Bei mir bemängelte er, wie schon andere vor ihm, den Gebrauch eines englischen Pilgerbuchs, wo ich doch aus Deutschland käme. Aber er konnte mich nicht zwicken, auch wenn ich dafür zugänglich wäre, denn ich hatte von der Messe bereits einen viel schöneren Stempel der Pfarrei mit einem energisch schwertschwingenden Matamoros mitgebracht. Sein Stempel dagegen wies nur einen verschwitzten, abgewirtschafteten, sauer schauenden Pilger ohne jeglichen Esprit auf. Den hieb er nun verdrossen hinein. Das gute Werk getan, sperrte er vor Ort alle noch freien Öffnungen zu und ging nach Hause, wo immer es sein gewesen mag. Ich aber bat beim Abendgebet den Herrn, hier heute lieber kein Feuer ausbrechen zu lassen, denn bis morgen sieben Uhr gab es von diesem Ort kein Entkommen, außer vielleicht für die ganz schlanken und flinken durch das gekippte Toilettenfenster, und ich mag kein Gedränge und Streß.
Palais de Rei, km 2889
Aber natürlich bestand da keine Gefahr. Der Herr ließ ja die ganze Nacht kräftig regnen. Der Morgen kam daher grau und fade, die Pilger verließen das schützende Haus nur zögernd. Aber es ist das Los des Pilgers, jeden Tag bei jedem Wetter aufs neue aufzubrechen, in der Hoffnung, irgendwo, irgendwann dem Herrn zu begegnen. Und nicht zu vergessen, auch der Verwalter drängte auf Abschied, damit er das Haus wieder verschließen kann. Da die Küche ohne Geschirr war, nicht einmal eine simple Tasse fand sich da, verlor man auch keine Zeit unnütz mit Frühstück. Niemand klagte, denn man wußte um die zahlreichen Cafés und Bars, wo man sich nach Lust und Laune stärken konnte. Ich allerdings hatte im Rucksack den genialen, federleichten Titankochbecher für Extremalpinisten, in dem ich für mich und Simon einen Kamillentee kochen konnte. In zwei Schichten, weil er klein war, was Simon ungeduldig mit den Hufen scharren ließ. Kaum trank er den Tee, schon war er weg. Das Haus war ohnehin schon leer, alle Pilger waren längst über alle Berge. Oder im Restaurant. Mir war es nicht unrecht, als ich aufbrach. Ich genoß den Weg durch das vernebelte, patschnasse Barbadelo. Dunkle, aus gebrochenen Stein gefügte Mauern. Alles zeitlos alt und wie verlassen. Glatt verpaßte ich die Abzweigung und wäre wer weiß, wo gelandet, hätte mich der Herr nicht wieder einmal zurückgerufen und auf den rechten Weg gebracht. Man war hier nicht mehr auf der Messeta, wo es meist nur geradeaus ging, hier mußte man wieder wie ein Hase Haken schlagen und sich gut orientieren. Für Normalsterbliche freilich reichten die krummen gelben Pfeile vollkommen, aber solche wie ich, mit den Gedanken stets irgendwo in den Wolken, mußten schon an der Hand geführt werden. So ging es eine ganze Zeit auf kleinen Asphaltstraßen weiter, dann immer häufiger auch auf breiten sandigen Wegen. Allerorts gab es alte Wegsteine, welche die rasch schmelzende Entfernung nach Santiago angaben. Das Wetter wollte und wollte nicht besser werden. Zwar hörte der Regen auf, aber es blieb naß und ungemütlich. Ich marschierte recht forsch, um mich warm zu halten, holte aber niemanden ein. Zu sehen gab es nicht viel, der verwunschene Wald war längst zu Ende, hier gab es nur nasses Gestrüpp. So ging ich in Gedanken und zählte mangels besserer Beschäftigung die Fußabdrücke meiner Vorgänger im nassen Boden. Es waren konstant fünfzehn Schuhsohlen. Nur an den vielen Stellen, wo der Camino die Nationalstraße berührte, wurden es plötzlich mehr. Dort sah ich auch immer wieder Leute rasten oder Rucksäcke schultern. Ich grüßte, wie ich jeden unterwegs grüßte, sprach aber mit niemand. Es war ziemlich fade. Schmucke Kirchenbauten, an denen es in Spanien ja nicht mangelt, fehlen auf dem galicischen Camino. Entzugstherapie für die Sinne. So kurz vor dem Ziel soll sich der Pilger in Demut auf die Herrlichkeit seiner Ankunft und die Schätze
Weitere Kostenlose Bücher