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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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der Jakobsstadt vorbereiten. Ich jedoch vermißte die verschlossenen Kirchen nicht besonders und zog geduldig meine Bahn. Dabei gingen mir meist dumme Gedanken durch den Kopf. So etwa, wie gefährlich es denn eigentlich sei, ein schweres, brennendes Schwefelfaß durch eine Kirche voller Menschen zu schwingen. Gemeint war das 1,60 Meter große, zig Kilo schwere Weihrauchgefäß, Botafumeiro genannt, das in Santiago an einem 30 Meter langem Seil von der Kuppel der Kathedrale hängt und nach dem Hochamt bis hoch unter die Decke geschwungen wird. Ich glaubte, ähnliches schon einmal in Palma de Mallorca gesehen zu haben. Der glühende Eimer schoß damals durch das gesamte Kirchenschiff wie eine Brandbombe aus einem antiken Katapult, was alle Touristen schwer staunen ließ. In Santiago ist es auch schon mehrmals zu Unfällen gekommen. Katharina von Aragon, als sie 1499 ihre Reise nach England in Santiago unterbrach, sei Zeugin gewesen, wie das Weihrauchfaß durch die Fenster des Südportals auf die Plaza de las Platerías stürzte. Ein tolles Schauspiel.
    Ziemlich erschöpft machte ich eine kühle, ungemütliche Mittagspause auf einer Steinbank neben dem Camino. Sie gehörte zum Garten eines verlassenen Hauses, dem die Nationalstraße zu nah kam. Man mußte jetzt eine ganze Weile daran entlang laufen, aber der Autoverkehr war nicht zu heftig. Es gab plötzlich auch wieder mehr Pilgerverkehr. Ich nahm alles stoisch hin, überlegte nur, wie lange ich dieses mörderische Tempo, das ich mir in den letzten Tagen auferlegte, aushalten werde. Die Knie protestierten schon, und ich schloß nicht aus, sozusagen in der Zielgerade eventuell noch aufgeben zu müssen. Irgendwie konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen anzukommen. Wenn ich daran dachte, formte sich im Kopf kein Bild, sondern nur eine große milchgraue Leere. Ich hatte keine Erwartungen, keine Wünsche. Nicht einmal über die doofen Radpilger, die vorbeizogen konnte ich mich noch ärgern. Nicht einmal jetzt über den kalten Hintern auf der Steinbank. Es gab kein Vergnügen und keine Erholung. Da sah ich Simon raschen Schrittes herankommen, einen radschiebenden Pilger im Schlepp, und war froh, mich ihnen anzuschließen und der tristen Leere davon zu laufen. Simon muß wohl unterwegs in einer Bar angehalten und dort den Radler aufgegabelt haben, dessen Schlauch keine Luft hatte. Da kein passender Ersatz zu haben war, mußte er schieben. Nichtsdestotrotz hatten sie ein mörderisches Tempo drauf. Ich konnte kaum folgen, wollte jedoch um keinen Preis zurückbleiben. Ich war zu unmotiviert, und sie zogen mich sozusagen mit. Vielleicht schickte der Herr die Beiden, damit ich hier nicht irgendwo im Gebüsch antriebslos liegen blieb, da er selbst woanders Wichtigeres zu tun hatte. Es war mir auch klar, daß er nicht nur für mich da sein konnte, also nahm ich mit dem vorlieb, was geboten wurde. Geboten wurden Simon, der Radler und ein echt scharfer Marsch, der dem Rekrutenschliff keine Schande machen würde. Man war in ein gutes Gespräch vertieft, und ich mischte mich kaum ein. Eigentlich störte ich nur. Der Radler aber war für mich durchaus interessant. Er war ein typischer Piefke aus Köln, überhaupt nicht religiös und nur aufgrund der Lektüre des Pilgerbestsellers hier. Er war ein echter Fan des RTL-Komikers und hatte alle verwertbare Angaben aus seinem Buch in einer Tabelle notiert, die er auf einer Kartenunterlage am Lenkrad aufliegen hatte. Mit der Wirklichkeit konfrontiert stimmte so einiges nicht, aber das entmutigte ihn nicht. Wenn aber tatsächlich etwas der Beschreibung im Buch entsprach, freute er sich wie ein Schneekönig. Diese naive Freude und der Glaube an die Wahrheit des Geschriebenen gefielen mir sehr, und ich verbiß mir alle leichtsinnigen Kommentare, für die ich ja eine Schwäche habe, und die ihm die Laune hätten verderben können. Simon, der meine Meinung kannte, beäugte mich eine ganze Weile ziemlich mißtrauisch, ich aber gab mir keine Blöße. Keine Lästerereien, keine Kritik, keine negativen Gedanken.
    Viel zu früh gelangten wir so ans Ziel meiner heutigen Etappe. Den Ort habe ich mir einfach nach der Kilometerzahl aus dem Führer ausgesucht. Die Restkilometer durch vier — einfache Rechnung. Zu meiner Überraschung aber war dies keine richtige Ortschaft, sei es auch noch so klein wie Barbadelo die Nacht zuvor, vielmehr wirklich nur ein Kaff, winzig klein, bestehend nur aus einer Herberge, einer Bar auf der anderen Straßenseite und noch

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