Bis ans Ende der Welt
einem einzigen Haus etwas abseits. Es sah auch nicht so aus, als ob es im näherem Umkreis von ein paar Kilometern noch mehr sein sollte. Der Kölner zitierte hartnäckig aus seiner Tabelle, hier sei gut private Unterkunft zu finden. Ein Privatzimmer, anstatt der üblichen Wanzenbuden zu finden, war dem RTL-Komiker ja wichtig. Um den guten Mann in Verlegenheit zu bringen, widersprachen wir nicht. Alles war möglich, vielleicht landete noch ein Ufo? Der Kölner würdigte unsere Diskretion und lud uns kurzerhand in die Bar zu einem Abschiedsdrink ein. Der Laden war warm, laut und voll gutgelaunter Pilgern. Die Speisekarte war nicht zu lang, doch verlockend. Aus Neugier bestellte ich einen hausgemachten Apfelmost, der dann aber arg bittersauer schmeckte. Eine Strafe für meine schlechten Gedanken. Wir redeten noch ein wenig über rein gar nichts, wie es eben so ist, wenn man niemanden düpieren möchte. Ein Preis des guten Umgangstons eben. Deshalb machten sich Simon und der Kölner bald wieder auf den Weg. Simon meinte, der Tag sei noch zu jung, um hier sitzen zu bleiben. Außerdem spekulierte er darauf, schon in zwei Tagen, am Sonntag, in Santiago einzuziehen. Dazu mußten heute noch mindestens zwanzig Kilometer her, sonst wären die kommenden zwei Etappen viel zu lang. Meine Knie waren natürlich einer anderen Meinung, der rechte Fuß protestierte schon seit Mittag, und die Herberge wirkte sehr sympathisch. Aber sie war verlassen, verschlossen, und im Ort gab es keine andere Abwechslung als die Bar, wo laut Zettel an der Tür der Schlüssel zu holen war. Eine Weile schlich ich noch herum, überschlug meine Chancen, und plötzlich schien mir die Aussicht, ausgerechnet an einem Festtag anzukommen, sehr verlockend. Ich zog ab wie ein Wirbelwind und schon bald holte ich Simon und den Kölner wieder ein. Der Kölner meinte, ich wüßte nicht, was ich möchte. Das mochte oder mochte nicht stimmen, aber war es denn wichtig? Vielleicht, wenn man aus Köln kam. Also bot ich den beiden an, listig wie ein Franzmann, am Abend für uns alle zu kochen. Schließlich ist gemeinsam essen so etwas wie eine Kommunion. Ich tat es wirklich gern und ohne Berechnung, doch muß ich gestehen, vielleicht doch gehofft zu haben, nebenbei zumindest einen Teil der an meine Person erbrachten Zweifel wieder wettzumachen. Indes umsonst. Der Kölner verließ uns auf halber Strecke nach Palais de Rei, ich vermute, weil wir ihm zu schnell waren, mit dem Versprechen, uns zum Abendessen wieder einzuholen, was allerdings nicht geschah.
Die Herberge vor Palais de Rei gehört zu den modernen Schlafeinrichtungen, mit denen die spanischen Behörden das Pilgerwesen fördern. Ein Teil des Geldes könnte gar aus der Kasse der Europäischen Gemeinschaft stammen, die den Camino zum internationalen Kulturerbe kürte. Modern, das heißt Stahl und Glas und futuristisches Design. Alles schön und gut anzusehen. Doch die Küche wurde bestenfalls einem Einfamilienhaus reichen, und die sozialen Einrichtungen ebenfalls. Aber das schien zunächst keine Rolle zu spielen, weil es hier völlig leer war. Erst vermutete ich, das Haus sei gar nicht im Betrieb, doch es war tatsächlich erst mal nur leer. Ein Haus nur für mich? Wie hätte ich es genossen, mich nach der Dusche auszustrecken und die Ruhe zu genießen. Doch eingedenk der Tatsache, daß ich zwei Leute zum Essen einlud, mußte ich mich trotz der geleisteten fünfzig Kilometer auf den Weg in die anderthalb Kilometer entfernte Stadt machen, um einzukaufen. Simon verzichtete auf ein solidarisches Mitgehen, was ich unfair, doch verständlich fand. Ich ging also los, und in der Stadt angekommen, staunte ich nicht schlecht. Alles war voll von Pilgern, die zu dieser fortgeschrittenen Stunde schon ziemlich verzweifelt nach einer Unterkunft, egal wie einfach, egal wie teuer, suchten. Wieso denn, fragte ich mich, wenn vor der Stadt direkt am Camino ein riesiges Albergue völlig leer stand? Dann aber begriff ich, daß alle, so wie sie hier verzweifelt herumliefen und auf die Spanier schimpften, auf vier Rädern ankamen, und die vierspurige Straße ging ja nicht direkt an der Herberge vorbei.
Arzúa, km 2919
Trotz gewisser Vorurteile, vielleicht gar Schadensfreude, konnte ich nicht umhin, jedem zu erzählen, wo er Abhilfe fände, und bis ich vom Einkaufen zurückkam, war die Herberge ziemlich voll. Und was noch schlimmer, auch die kleine Küche. Die Zubereitung des Abendessens geriet durcheinander, und dann dürfte man noch um
Weitere Kostenlose Bücher