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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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ständig weg. Gerne hätte ich mich irgendwo ausgeruht, aber von überall her kam Wasser geflossen und geflogen, während die alten Bäume, die knorrigen Wurzeln fest in den Fels gekrallt, im Sturm wankten und ächzten. Es ging recht laut zu. Sichere Stelle sah ich nicht. Das war kein Ort zum Pausemachen, und ich wunderte mich, warum man unten beim Einstieg keine Warntafel anbrachte. Nicht jeder hat gute Kondition und Bergerfahrung, auch so entscheidet oft nur das Glück. Einmal wäre ich fast hinunter gestürzt. Einfach so, plötzlich, ohne erkennbare Ursache. Ich hätte gewettet, daß es da an die hundert Meter tief war. In einer Sekunde kippte ich schon kopfüber in den Abgrund, in der nächsten balancierte ich noch am Rand. Vielleicht rettete mich der Pilgerstab, der sich irgendwo in der weichen Erde verfing, vielleicht sah der Herr gerade durch meine erstaunten Augen und setzte mich wieder an den Wegrand. Er ist ein starker Schild, eine mächtige Stütze, Schutz vor dem Glutwind, Schatten in der Mittagshitze, Halt vor dem Straucheln, Hilfe vor dem Fall, Freude für das Herz, Licht für die Augen, Heilung, Leben und Segen. [19] Da unten hätte mich keiner mehr gefunden, und ich hätte mein Gelübde nicht erfüllt.
    Dann waren Berg und Wald plötzlich alle, als ob nichts wäre. Daß ich aber den Rest des Tages fast ausschließlich auf hartem Asphalt marschieren mußte, war mir auch bald leid. Der Asphalt tat meinen Füßen weh. Die Gegend freilich ist schön, und daher komplett touristisch erschlossen. Beckenried hat die Dichterin Isabella Kaiser als „das schönste Dorf am schönsten See“ bezeichnet. Da ist die Autobahn, da die Autofähre, da man kommt ja nicht etwa zu Fuß, sondern zivilisiert mit dem Auto. „Autokolonnen rollten heran, Wagen brausten durchs Dorf und hemmten in Stoßzeiten den Durchgangsverkehr,“ huldigt die ehrliche Werbung dem Götzen des 20. Jahrhunderts. Das Dorf kann an die fünf Kilometer lang sein, und in dieser Zeit fuhren Tausende Autos an mir vorbei. Das nervt. Noch mehr im Regen, wenn die Reifen im hohen C auf den Asphalt klatschen. Da fällt einem nichts Gescheites ein. Eine freundliche Dame hielt mich an, sie gehe auch den Jakobsweg, aber in Gruppe und nach Etappen. Sie seien bereits bis Le Puy vorgestoßen. Ainsi soit-il. So sei es denn, aber ich war ziemlich fertig und hatte schrecklichen Hunger. In dem Wahn dachte ich fast, sie möchte mich irgendwohin ins Trockene auf eine Tasse Kaffee einladen. Es hätte doch sein können. Seit dem Morgen ging ich ohne Pause, und diese Touristenhochburg zog sich end- und reizlos hin, Haus an Haus, Zaun an Zaun, eine nasse, gerade Autostraße ohne Unterlaß. Ich verabschiedete mich eilig und fand kurze Zeit später einen Uferpark, wo ich mich auf einer Bank im strömenden Regen an Brot und Wasser stärkte. Ich nahm mir fest vor, bei der nächsten Gelegenheit unbedingt einige Eßvorräte anzuschaffen. Aber seit Tagen bin ich an keinem offenen Geschäft vorbeigegangen. Vermutlich kauften auch die Schweizer längst in irgendwelchen Supermärkten, irgendwo in der Pampa, mit viel, viel Parkplatz herum.
    Als das Trommeln des Regens zum Sitzen zu ungemütlich wurde, ging ich weiter nach Buochs, der nächsten Touristenhochburg am See. Es regnete. Und bis nach Stans, dem Zentrum des Kantons Nidwalden, kam mir der Weg noch lang vor. Eine einzige Plackerei war’s, und leidend war ich und hatte kein Auge für die Schönheit der nassen Wiesen und grauen Wolken. Erbost war ich in Stans-Oberdorf, als ich auf einen echt steilen Lehrpfad der dortigen Militärakademie geführt und mit rührvollen Tafeln über die Härte und Langweile des Soldatendaseins traktiert wurde. Wahrscheinlich wurden diese Gefühle von dem Lehrpfad selbst inspiriert, der sich endlos auf schnöden Wohnstraßen auf den Hügeln um das Ausbildungsgelände hinzog. Enttäuscht war ich, als ich später feststellen mußte, daß mich dieser Umweg um die historische Altstadt von Stans herumführte. Eine der Attraktionen, die ich in der Schweiz einmal wirklich mit eigenen Augen sehen wollte, versäumte ich so – den Brunnen „Tod und das Mädchen“. Wie lasziv sich doch der Tod von hinten an das Mädchen schmiegt, das naiv ihre nackte Schönheit im Spiegel bewundert, ihr um die Hüfte greift. Ich kenne das Foto. Und es gäbe da noch mehr zu sehen, der kleine Ort stammt aus dem frühen Mittelalter. Aber ich dürfte statt dessen den Soldatenlehrpfad bewundern. In voller Ausrüstung im

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