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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Liebe: Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüßte und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts. Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. Prophetisches Reden hat ein Ende, Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht. [17] Ein Weg, der alles übersteigt.
    Bevor ich gegangen war, segnete ich das Haus im Namen des Herrn mit dem heiligen Wasser aus dem Kloster. Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil. [18] Das tat ich gelegentlich, wenn ich mich vom Wohl gerührt fühlte. Gutes bedarf des Segens, damit es nicht verdirbt. Ich tat es aber stets heimlich und verschämt, da ich solcherlei Dinge noch nicht so richtig gewöhnt war. Aber ich glaube an die Kraft des Segens, und der Herr war ja dabei.
Stans, km 566
    Mit gutem Gefühl marschierte ich durch die menschenleere Stadt. Trotz Pullover fror ich wie ein Hund. Spätestens an der Anlegestelle war klar, daß es wieder mal regnen wird. Nicht auszudenken, daß ich mich über die entgangene Segelsaison damit hinweg tröstete, der Sommer werde nach dem miesen Winter sowieso kalt und regnerisch werden. Wie bequem hätte ich jetzt auf dem Segelboot in der Koje liegen, lesen und dösen können. Fruchtlose Gedanken denn, der Weg war noch lang. Aber ich wärmte mich daran. Unten am Steg warteten tatsächlich einige wenige Touristen auf die Fähre. Echte Enthusiasten wohl. Ich freute mich immer, wenn ich mit dem Boot fahren konnte. In Treib, auf der anderen Seeseite, war das Wasser tiefgrün und glatt wie Öl, darüber empor sich ein gewaltiger bewaldeter Steilhang. So viel sinnige Schönheit liegt in der Schöpfung. Doch die Besatzung verrichtete nur ihre Arbeit und sah gar nicht hin. Kann man denn nur staunend durchs Leben wandern? Auch schien die Frau Kapitän heute einen speziellen Kummer zu haben. Als ich am Ausgang anlangte, war es fast schon zu spät. Bis ich dumm schauen konnte, war das Boot wieder unterwegs. Fähren kehren bekanntlich nicht wieder um, und wer weiß, wo der nächste Hafen war. In Luzern? Also sprang ich. Es war reine Reflexhandlung – etwas unüberlegt. Vielleicht neige ich dazu. Erst kürzlich sprang ich so aus dem fahrenden Zug und verfehlte nur knapp einen Laternenmast. Jedenfalls nicht sehr gescheit. Eine Weile stand es auch auf der Kippe. Das Schiff beschleunigte schneller, als ich dachte. Wie es halt im Leben so ist. Noch schwebte ich unsicher in der Leere, dann landete ich hart an der Stegkante zwei Meter über dem Wasser. Zum seichten Ufer zu schwimmen wäre wohl noch möglich gewesen, aber den Rucksack und die Stiefel hätte ich opfern müssen. Es war ein tiefes Wasser, und wie kalt konnte es bei dem miesen Wetter sein? Vom Boot schimpfte etwas hinter mir her, doch es entfernte sich rasch, und ich war mir ziemlich sicher, daß man nicht umkehren wird. Fähren kehren ja nie um. Und so wie die Frau Kapitän ablegte, hatte sie es bestimmt eilig. Frauen sind emotionell. Manchmal wollen sie was, manchmal nicht, aber dann wollen sie es sofort. Diese da wollte schnell weg.
    Alle eventuell vorhandenen Touristen verzogen sich rasch in Richtung Zahnradbahn, mit der man sich den mühsamen Anstieg zum Seelisberg sparen kann, und die ich als Pilger schlicht verschmähte. Als ich den Steilhang bestieg, regnete es längst in Schnüren. Die dichten Baumkronen hielten noch immer das meiste ab, doch ab und zu ließen sie eine Kanne voll durch, wohl um den Wanderer wachzuhalten, was nötig war, denn der Pfad stieg stückweise fast senkrecht an, war eng und sehr gefährlich. Durch Erschöpfung ließ die Konzentration bald nach, auf dem nassen Lehm und Kalkstein rutschten die Sohlen

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