Bis ans Ende der Welt
Abend mit. Vermutlich zog man Erkundigungen an und entlarvte mich als Hochstapler – oder so ähnlich. Um das Morgengebet war es mir schade, sonst ließ ich mir es auch bei den Domestiken schmecken. Kaum habe ich mich da heimisch gemacht, stürzte der Rufer und Warner hinein, griff sich eine Tasse Kaffee und fiel sofort wieder über die Kroaten her. Ein anderer Hausgast, der offenbar auch die Laudes versäumte und auf das Frühstück im Refektorium nicht warten wollte, wagte zu widersprechen. Die Kroaten seien doch harmlos und so weiter. Aber es half ihm nichts. Die beiden Herren tranken den Kaffee unter einer gewissen Spannung. Interessanterweise hatte der Feind aller Kroaten sonst überhaupt nichts mit dem Balkan oder den Slawen an sich zu schaffen. Um zu testen, ob seine Abneigung allgemeiner oder spezifischer Art war, lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf die „bösen Slowenen“. Aber er winkte ab. Nein, die Kroaten seien es, gefährlich immer und überall. Wenn es ein Witz war, so war er wenigstens konsequent darin. Andererseits trifft man im Kloster häufig die merkwürdigsten Charaktere. Die Institution scheint sie anzuziehen. Es heißt auch, der Widersacher schleiche sich hier gerne ein, um Zwietracht zu stiften und die Pharisäer zu versuchen. Wer weiß.
Ich verließ Einsiedeln schnellen Schrittes und mit gemischten Gefühlen. Der Himmel war grau, die Temperatur im Tal nur dreizehn Grad, es regnete. Vorhin war es die Schafskälte, jetzt wohl die Hundekälte. Vor mir streckte sich eine abnorme Bergformation gen Himmel. Mythen hießen die zwei Bergkegel. Der Weg führte dran vorbei erst fünfhundert Meter hoch zum Paß, dann wieder tausend Höhenmeter hinunter. Dies sei der höchste Bergübergang des Schweizer Jakobsweges, sagte der Führer. Ich war geehrt und beeindruckt. Nach fast drei Wochen Training, mit wieder halbwegs intakten Füßen brauchte ich schweißgebadet nur anderthalb Stunden nach oben, wo es inzwischen heftig goß. Der Wind fegte die Wolkenfetzen so schnell heran, daß man unwillkürlich den Kopf einzog, um nicht eine Beule zu bekommen. Aber: „Wenn man die Augen aufmacht, ist die Welt schön,“ stand gestern an einer Hauswand geschrieben. Das tat ich, erblickte eine betriebsbereite Almwirtschaft und leistete mir mit triebhaftem Genuß eine große heiße Milch in der molligen Behaglichkeit der holzbeheizten Bauernstube. Später erzählte mir eine Pilgerin, sie sei hier im steilsten Berg einer Herde Kühe begegnet, die sie auf dem engen Pfad fast niedertrampelte und mit bis ins Tal zurück riß. Nicht umsonst heißt es „blödes Rindvieh“. Ich kam noch einigermaßen billig davon, als ich nur ausrutschte und voll in einen der sehr zahlreichen, grünschimmernden Kuhfladen langte. Er war noch warm. Aber auch so denke ich heute, inzwischen allen Kühen Europas begegnet, ihren Gestank in Hülle und Fülle eingeatmet und durch ihre Exkremente angeltief gewatet zu haben. Wenn ich bis zum Lebensende keine Kuh mehr aus der Nähe sehen sollte, ich werde es nicht vermissen. Und doch war es gewissermaßen eine Art Klimax. Nach weiteren anderthalb Stunden steilen Abstiegs passierte ich die Grenze zum Kanton Schwyz, und von nun an wurden die Kühe immer weniger und seltener, dafür die ordentlichen Touristen und Ausflügler immer mehr.
Kein Wunder, Brunnen liegt bereits an dem allerseits beliebten Vierwaldstätter See. So weit bin ich schon gekommen! Der See mußte aber noch eine Nacht warten, den ich fand eine schwelgerische Unterkunft im Gästehaus der Ingenbohler Schwestern kurz davor. Ein sauberes, gemütliches Zimmer — sogar mit Schreibtisch, Sessel, Radio, eigenem Bad, Blumen und Obst, beheizt! Ein ungeheuerer Luxus, wohl wie alles in der Schweiz nur gegen Gebühr, doch liebevoll dargereicht. Ob Vesper, Komplet, Laudes oder die heilige Messe – überall sind die Gäste willkommen, man redet sogar mit ihnen. Ich erfuhr einiges über die originelle, moderne Kirche, über die Geschichte des Ordens. Es habe über viertausend Mitglieder, darunter auch in Mittel- und Osteuropa. Alles zu Zeiten, wenn andere Klostergemeinschaften von der Schließung bedroht sind. Noch drei Pilgerinnen waren da, ältere Frauen. Als ich am nächsten Tag nach Morgengebet und Messe zum Frühstück kam, waren sie schon weg. Ich hatte den Frühstücksraum für mich allein und plauderte noch ausgiebig mit der Gastschwester. Es machte meinen Tag irgendwie schöner. Mehr noch die Meßlesung aus dem Korintherbrief über die
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