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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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plötzlich wieder. Ich konnte mich nicht einmal darüber ärgern, daß ich oben am Paß keine Übernachtungsmöglichkeit fand. Das Naturschutzhaus, das mich sehr gereizt hätte, hatte angeblich geschlossen, obwohl Leute fröhlich auf der Terrasse Bier tranken. Das reguläre Gasthaus konnte ich mir freilich nicht leisten. Ich war ja in der Schweiz, wo alles dreimal soviel kostete. Ich tröstete mich aber mit dem Wissen, das der Anstieg nun zu Ende war. Doch war er es nicht. Während die Autostraße nun ordentlich nach unten führte, zog sich der Pilgerpfad noch eine geschlagene Wegstunde steil in die Höhe durch einen morschen, verkrüppelten Wald. In einem anderem Leben würde ich hier gerne Räuber werden, da sich die Opfer am Scheitelpunkt angelangt garantiert nicht mehr wehren könnten. Die würden es gar nicht merken, wenn man ihnen das Portemonnaie aus dem Hosensack zöge. Ich zumindest nicht, so fertig war ich da. Und der Abstieg war fast noch schlimmer – rutschig, gefährlich, langsam. Losgetretene Steine polterten laut den Hang hinunter. Als ich endlich im Tal aus dem Wald trat, war es klar, daß ich Brienz heute nicht mehr erreichen werde. Es war einfach zu viel des Guten für einen einzigen Tag. Der Tag war gut, aber diese Etappe war nicht zu schaffen, egal was der Führer dazu meinte. Das sah der Herr dann auch so und stellte mir eine Scheune an den Wegrand, wo man im Stroh schlafen konnte. Sie gehörte zu einem Reitstall, den ich kurz zuvor passierte. Das auf einer Tafel stehendes Übernachtungsangebot verschmähte ich da hoffnungsvoll. Nun konnte ich aber wirklich nicht mehr weiter. Ein Swimmingpool und eine Waschmaschine gehörten zum Angebot, und ich hatte die Bude für mich ganz allein. Das zählte auch. Ich konnte, frisch geduscht und auf einer Bank vor dem Haus sitzend, in aller Ruhe die sonnige Abendstimmung genießen, das Tagebuch schreiben, mit dem Herrn reden und in den Gedanken herumkramen. Ich hatte noch eine alte Brotkante und eine Fischdose im Rucksack gefunden, zum Trinken war ein Wasserhahn da. Ich war nicht hungrig, nicht durstig. Nichts fehlte mir, die ganze Welt war mein.
Interlaken, km 650
    Zum Bezahlen mußte ich am nächsten Morgen wieder ein Stück zurückgehen, was mir freilich sehr widerstrebte. Erstens wegen des Zahlens, zweitens, weil der Fluß nie zurückfließt, der Pilger nie umkehrt. Vieles unternimmt der Mensch, um ans Geld zu kommen, lügen, stehlen und morden, aber fast zwei Kilometer mit Rucksack auf Blasen zurückzulaufen, um Geld loszuwerden? Das wog schwer, und ich rechnete mir es hoch an, klopfte mir lobend auf die Schulter. Dafür bekam ich aber in einer urigen Gaststube über dem Stall ein gutes Frühstück mit allem, was man sich kulinarisch für den Vormittag nur denken kann. Säfte, Obst, Eier, Schinken, Würstchen, ganze Wagenräder Käse, frischgebackenes Weißbrot und guten Bohnenkaffee. Alles ganz frisch, adrett serviert und in großen Mengen. Ich schlemmte ausgiebig, unten im Stall schnauften Pferde, scharrten mit den Hufen, und alles war wieder gut. Sogar für die Jause am Mittag reichte es noch. Im vollem Sonnenschein zog ich davon, vorbei an einem Schlag, aus dem ein Fohlen beharrlich auszubrechen versuchte, indem es immer gewaltig mit den Hinterläufen gegen die Stalltür donnerte. Es klang jedesmal wie ein Kanonenschuß und begleitete mich eine ganze Weile. Ich war froh, kein gefangenes Fohlen zu sein, sondern frei und fröhlich unter dem blauen Himmel talabwärts zu schreiten. In einem urigen Dorf strahlten die Geranien vor den alten Holzhäusern so rot, daß ich mich eine Weile auf einer Steinmauer ausruhen mußte. Eine Frau kam sofort hinaus. Ich sagte: „Friede sei mit euch!“ Sie grüßte mürrisch zurück – norddeutsch. Dann verkroch sie sich hinter dem Eingang und lauerte. Andere in den Nachbarnhäusern taten dasselbe. Keiner sagte was, keiner fragte was, man lauerte. Das ganze urige Relikt der Schweizer Dorfarchitektur war wohl fest in bundesdeutscher Hand und handelte danach. Ich wollte es den Leuten nicht zu schwer machen und zog bald weiter. Habe ich ihnen damit Freude gemacht?
    Schneller als ich dachte kam ich so nach Brienz. Es liegt recht romantisch am Ufer des gleichnamigen Sees, umgeben von hohen Bergen. Besiedelt wurde die Gegend seit dem 7. Jahrhundert, bis es vom Alpenhochwasser 2005 fast zerstört worden wäre. Aber der Mensch läßt sich nicht aufhalten. Autos, Touristen und Hektik herrschen wieder. Eine ganze Stunde hatte

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