Bis ans Ende der Welt
ich sie auszuhalten, während ich auf das Schiff wartete. In der Zwischenzeit, um den Schweizer Bauern die Stange zu halten, trank ich frische kalte Milch und bekam prompt einen Durchfall davon. Und während ich so auf dem Anlegesteg saß und unruhig hin und her rutschte, riet mir ungefragt eine echt vornehme Dame, doch unbedingt das Ausflugsrestaurant am anderen Ufer zu besuchen, das sei eine wahre Schlemmerhöhle, und der Wein, der Wein erst, der sei ganz vorzüglich zum Fisch. Auch empfahl sie mir, lieber in der ersten Klasse zu reisen, da habe man mehr Seeblick und weniger Touristen. Sie sprach mir aus der Seele, doch vielleicht wegen des Durchfalls verprellte ich sie mit der monströsen Behauptung, in der Schweiz in einem Restaurant zu essen, können Leute aus Mitteleuropa nur zweimal nach dem Ersten im Lotto, dann seien auch sie zu arm dazu. Ich wollte mit der Meinung einfach nicht mehr hinter dem Berg stehen. Sollten die Schweizer doch die Wahrheit erfahren, klar und deutlich, sie hatten den Volksentscheid und konnten dagegen vielleicht was tun. Die Dame nahm es mit einer typisch Schweizer Höflichkeit hin und verzog sich. Ich sinnierte darüber nach und fand, daß ich aus diesem Anlaß nicht gleich so vorlaut hätte sein müssen, und daß aus mir wohl nie ein gut erzogener Junge sein wird, wie es sich meine Mutter wohl mal erträumt hat. Nie und nimmer, keine Chance, auch nach drei Wochen in der Schweiz nicht.
Ich genoß die kurze Überfahrt über den Brienzer See und den romantischen Walduferweg bis nach Iseltwald auf der anderen Seite. Der Wald rauschte, das Wasser war grün und blau und kristallklar. Trinkwasserqualität. Aus irgendeinem Grund begegnete ich ständig Schulklassen, die an diesem Tag alle einen Wandertag hatten. Ich dachte mir, daß es für die Ministerialbürokraten in Zürich und anderswo gar nicht so unüblich wäre, so einen allgemein verbindlichen Schulwandertag einzurichten. Und daran wäre eigentlich auch nichts auszusetzen, und ich hätte auch bestimmt nichts dagegen, wäre nur nicht mein Durchfall da gewesen. Ständig mußte ich irgendwo die Hosen runterlassen, und dazumal recht hurtig, und der Wald war dazu einfach nicht immer dicht genug. So eine Schulklasse ist wie ein Ameisenhaufen, hat tausend Füße und tausend Augen, wo soll man sich da nur verstecken? Auch gesetzte ältere Touristenpaare tauchten sporadisch wie aus dem Nichts auf. Sie gingen schweigend und scharrten nicht mit den Füßen. Auch im Wald benahmen sie sich ganz korrekt. Auf längere Entfernung waren sie nicht so einfach auszumachen. Ich konnte nur hoffen, die Schweizer nicht noch mehr durch meinen Aufenthalt im Lande zu brüskieren, und versteckte mich hinter großen Steinen am Ufer.
Mein Benehmen an diesem Tag ließ allerhand zu wünschen übrig, das spürte ich ganz deutlich. Im romantischen Iseltwald wollte ich daher mein Gewissen prüfen und wanderte in der Mittagsglut eine gehörige Strecke bergauf, wo ein Kirchtürmchen sichtbar war. Es tat nichts, daß die Kirche protestantisch war, doch war sie leider wieder verschlossen. Tatsache ist, daß in den protestantischen Gotteshäusern deutlich weniger Ramsch herumliegt und somit zu klauen wäre, als in den katholischen. Zweimal fand ich da keinen Altar und einmal gar kein Kreuz. Das war nur in einem Glasfenster gemalt vorhanden. Doch man schließt zu. Vielleicht gab es im Ort noch mehr Kirchen, aber ich hatte keine Kraft und Lust, danach zu suchen. Statt dessen lungerte ich ein bißchen herum und erfreute mich an einer schönen lehrreichen Geschichte im Aushang. Dann saß ich auf dem gepflegten Vorplatz am Brunnen und meditierte darüber, wie man dem Herrn nie gerecht wird und sinnlos an seiner Liebe zweifelt, bis mich die Mittagssonne von dem schattenlosen Platz vertrieb.
Die stichige Sonne und harter Asphalt plagten mich dann bis Interlaken. Im 12. Jahrhundert gründete man hier im Schatten von Eiger, Mönch und Jungfrau auf einem niedrigen Landsockel zwischen dem Brienzersee und dem Thunersee ein Augustinerkloster. Inter lacus , Seedazwischen, ist somit ein passender Name. Bis 1891 hieß der Ort jedoch noch Aarmühle und war völlig unbedeutend, bis im 19. Jahrhundert die Touristensaison begann. Berühmtheiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Lord Byron und Felix Mendelssohn Bartholdy priesen es lautstark an. Schwer nachvollziehbar. Auf mich machte Interlaken keinen besonderen Eindruck. Alles scheint hier dem Tourismus zu dienen. Daß man aus Florenz,
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