Bis ans Ende der Welt
Paris, München und Rom mit dem Bus direkt reisen kann, sagt so einiges. Natürlich auch per Zug und Flugzeug. Hotels gibt es zuhauf. Laut Führer sind es dreiundsechzig Häuser mit viereinhalbtausend Betten. Fast so viele, wieviel Interlaken Einwohner hat. Ich weiß nicht, ob die Achtbettzimmer im Backpackers Hotel auch dazu zählen. Das war das einzige, was ich mir hier noch leisten konnte und wollte. Auch zu besichtigen gab es nichts, außer vielleicht den Bahnhof, den Flugplatz oder das Casino. Nichts davon gehört zu meinen Vorlieben. Zur Erbauung der Touristen landeten durchgehend Paragleiter und Fallschirmspringer auf dem Hauptplatz. Als Reklame für irgend etwas, was ich nicht verstand. Und das Seltsamste? Alles ist voller Asiaten. Laut Führer angeblich Japaner. Naiv neugierig fragte ich also einen japanoiden Zimmernachbarn, was denn so viele Japaner nach Interlaken ziehe, aber er antwortete, er sei Koreaner. Das war freilich ein gewaltiger faux pas , da sich die Japaner während des zweiten Weltkrieges in Korea sehr schlecht benommen haben. Aber der junge Mann nahm es mir nicht weiter krumm und erklärte, Interlaken sei für jeden koreanischen Studenten ein absolutes Muß. Angeblich wegen eines Fotos vor oder an der Universität dort. Das hielt ich für übertrieben, geschwafelt und exotisch fremd, aber ich behielt meine Meinung für mich. Ich traf auch später immer wieder Koreaner auf dem Camino, alle waren sie zuvor in Interlaken, aber keiner konnte mir schlüssig erklären, warum. Das einzig Sehenswerte wäre der Blick auf das schneeweiße Jungfrauenjoch, aber da standen noch ein paar Wolken dazwischen, und die anwesenden Asiaten schienen sich darum überhaupt nicht zu kümmern. Dann fragte ich, weil ich schon dabei war und es einmal in einer Fernsehreportage gesehen zu haben glaubte, ob Koreaner denn Schlangen essen würden. Auch das war wohl schlecht getroffen. Der junge Mann verwies mich trocken auf die Beliebtheit von McDonald, KFC und anderen kulinarischen Amerikanismen sowie die feine internationale Küche aus Pasta und Gemüse. Also gab ich es auf, Geheimnisse der Koreaner in Interlaken zu enträtseln, und ging statt dessen meine Kleidung waschen. Im Waschkeller fing ich dann ein interessantes Gespräch mit einem Jugendlichen aus London an. Er war schwarz, fett und picklig, und ich hätte ihn normalerweise nicht beachtet. Aber er konnte mir erklären, wie man den Wäschetrockner in Gang bringt, was er sehr engagiert tat. Auch hätte ich mich kaum in sein Gespräch mit einem Mädchen aus Australien eingemischt, aber er sprach sehr intelligent und weise. Auf meine, wie ich dachte, harmlose Frage, ob er Brite sei, antwortete er: „Schauen Sie mich doch an! Ich bin ein kleiner fetter Nigger! Kann jemand wie ich je ein Brite sein? Ich habe einen britischen Paß, das ist alles.“ Es klang nicht etwa bitter, und bei näherem Hinsehen hatte er völlig recht, und ich dachte, obwohl er wirklich nur ein häßlicher fetter kleiner Nigger sei, daran gab’s keine Zweifel, könnte England doch sehr stolz auf ihn sein, und ich wüßte nicht so schnell jemanden hier und da, der einen so schnellen Verstand, guten Humor und Sinn für Realität hätte. Weiß, reich und wohlgeboren wäre er mit seinen gesellschaftspolitischen Ideen im britischen Ober- und Unterhaus gewiß gut plaziert, und wer weiß, was noch. Er beeindruckte mich sehr, und am Ende erschlug er mich fast mit einem Satz, als er zum Abschied sagte: „Vielen Dank für das Gespräch, Sir, es war mir eine Ehre und Freude, mit Ihnen diskutieren zu dürfen.“ Das hat zu mir noch keiner gesagt, auch dann nicht, als ich wirklich was Gutes gesagt, Gutes getan habe. Ich glaubte auch nicht, es verdient zu haben, da ich mich nur in ein fremdes Gespräch eingemischt habe, was eine von mir grob mißbrauchte Unsitte ist. Unauffällig sah ich mich in allen Ecken nach dem Herrn um. Er aber versteckte sich. Schob er etwa den Jungen als Sendboten vor, um mich anzumachen? Ich hätte mir normalerweise eine solche Frage nicht gestellt und sie als dingliche Möglichkeit gar generell angezweifelt, aber vieles auf dieser Pilgerschaft war viel anders als sonst in meinem Leben. Wohl deshalb schloß ich gleich danach die Freundschaft mit zwei hübschen jungen Mädchen, mit denen ich in das einzige Kaufhaus vor Ort das Abendessen einkaufen ging, was ein ziemlicher Weg, aber auch Begebnis war, nicht nur wegen der charmanten Gesellschaft, sondern auch deshalb, weil ich seit
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