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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Geschäftlichkeit. Nach einem schönen freien Tag kehrten die Menschen zurück nach Hause zum Essen und Fernsehen. Plötzlich hatten sie es eilig. Und keiner wußte den Weg, den ich bald verloren habe. „Camino? Jakobsweg? Was ist das? Das gibt es hier nicht. Haben Sie keine Karte?“ Bei Sonnenuntergang nach langem Fußmarsch ist eine ausufernde Vorstadt sehr gut geeignet, um sich obdachlos wie ein Penner zu fühlen. Aber warum war ich so kleinmütig, hat der Herr nicht immer auf mich geschaut und mir das Nötige gegeben? Habe ich das nicht immer wieder erfahren? Schon bald kam ich mit einem netten Ehepaar ins Gespräch, das mich zu sich nach Hause einlud. „Aber erst müssen wir zu einer Party, da können Sie gleich mitkommen,“ schränkten sie ein. Die Party war in einem Behindertenheim, für das diese Leute Geld gesammelt haben. Und den Jugendlichen dort war ein waschechter Jakobspilger gute Abwechslung. Ich aber war gerade so schön durstig und hungrig und auch irgendwie einsam, und mit einem Schlag wurde ich alle kleinlichen Sorgen los. Ja, sogar die Schuhe hörten auf zu drücken, was selten war, und ich war frisch und gebadet, so mußte man über mich nicht die Nase rümpfen, es sei den wegen meiner zweifelhafter Herkunft, aber das war den Schweizern, gesund und behindert, wirklich „Wurscht“. Im HHHH Hause der freundlichen Leute bekam ich später das verwaiste Kinderzimmer, alle Fürsorge, gutes Gespräch und als besondere Zugabe das Fußballspiel Türkei-Kroatien zu sehen. Wieder gewannen die verflixten Türken nach Verlängerung. Ein Kommentator witzelte treffend, vor den Türken sei man erst sicher, wenn ihr Bus schon weggefahren ist. Ich fragte mich ernsthaft, warum ich mir mitten auf dem Camino alle Türkenspiele ansehen mußte, wenn ich mich für Fußball absolut nicht interessiere. Das hatte gute Gründe. Als ganz kleinen Jungen nahm mich mein Vater einmal zum Fußball, und während er seinem Vergnügen frönte, trieb ich mich herum, und kam über ein paar Zigeuner, heute vornehm Roma genannt, damals aber noch schlicht Zigeuner, die viele waren und daher mutig mit Steinen nach mir schmissen. Einen dieser faustgroßen Steine bekam ich mitten auf die Stirn, und das hat mich für alle Zeiten vom Fußball abgebracht. Heute liefern sich die Fans regelrechte Schlachten, und viele werden ernsthaft verletzt oder gar totgeschlagen, ich aber wurde rechtzeitig gewarnt. Sollte ich nun alles über Bord werfen und dem Fußballfieber erlegen? Der Herr schwieg hierzu, bis ich einschlief. Aber am nächsten Morgen gab es ein großartiges Frühstück auf der Dachterrasse vor dem blendenden Gletscherpanorama des Alpenhauptkamms — wie aus der Postkarte geschnitten. Es war so schön, so kostbar, so einmalig, ich hatte es gar nicht eilig zu gehen. Und ich hatte alle Türken, Zigeuner und Fußballfans schon völlig vergessen.
Lausanne , km 835
    Nach so einer guten Rast, marschierte ich fröhlich bei gutem Wetter durch eine niedliche Moränenlandschaft mit gelegentlicher Aussicht auf die Gletscher. Auf und nieder ging es, nie zu sehr anstrengend. Alte Kulturlandschaft mit sauberen Dörfern und weißen Kirchen zwischen Feldern und kleinen Hainen. Schon im achten Jahrhundert wurde sie von den Alemannen besiedelt. Irgendwo zwischen Amsoldingen und Wattenwil traf ich Christoph wieder, einen jungen Burschen aus Deutschland, den ich das erste Mal kurz vor Einsiedeln sprach. Er hatte sich dem Übernachten im Freien verschrieben, wohl aus Kostengründen, schlief irgendwo auf dem Betonboden in Schulhöfen oder vor Kirchen. Er trug eine riesige rote Mähne, wie sie auf Jamaika oder in Marokko geflochten wird. Mir schien es sehr exotisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man so etwas bei all dem Schweiß und Staub unterwegs handhabt, vor allem, wenn man nicht zweimal täglich duschen kann. Vielleicht hatte er einen anderen Stoffwechsel oder was, wenigstens brauchte er keinen Sonnenhut. Gutgelaunt kamen wir zu einem Schloß, wo offenbar eine große Feier stattfinden sollte. Adrette junge Burschen in weißen Hemden und schwarzen Hosen, die aussahen, als ob sie selbst zur Gesellschaft mit gehörten, regelten das Parken auf einer Wiese. Wohl keines der hier abgestellten Fahrzeuge war als gewöhnlich zu nennen, der eine oder andere Rolls Roys war dabei und bei einigen Wägen wüßte ich nicht die Marke zu sagen. Aus Übermut spielten wir geladene Gäste, spinnerte Exzentriker, denen es beliebte, zu Fuß mit dem Rucksack

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