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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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die Übernachtung und gegebenenfalls noch ein reichhaltiges Frühstück zu nehmen, schienen die Franzosen für das gleiche Geld ihre Gäste lieber zu bekochen. Da mir das Abendessen wichtiger ist als das Frühstück, war es mir nur recht so. Ich genoß diesen Luxus. Eine Familie saß am Tisch gegenüber, drei Generationen Weinbauern, lebhaft und kultiviert. Der jüngste von ihnen war ein kleiner blonder Bub von kaum fünf Jahren. Wie ein Cherubim sah er aus, doch fuhr er herum wie ein kleiner Teufel und war dann bald kaum zu bändigen. Der Patron beruhigte ihn elegant mit einem Glas Wein, der ihm exzellent mundete und seine Laune deutlich besserte. Und die Familie sah wohlwollend zu, wie dem Buben der Wein schmeckt, und lachte über seinen leichten Schwips. Pointe de vin heißt es familiär auf Französisch. Es war ihnen anzumerken, daß auch sie als Kinder eine ähnliche erste Erfahrung mit dem Wein machten und daran bis heute mit großem Vergnügen dachten. Grob und blöde sind sie offenbar davon nicht geworden wie so oft unsere Bauern vom Bier.
Les Côtes, km 977
    Der Tag startete mit einem heftigen Gewitter, das sich bereits in der Nacht ankündigte, dann aber doch nicht kam und statt dessen nur grollend aufleuchtete. Blitz und Donner und ein heftiger Regen jagten nun plötzlich über das Tal, ausgerechnet als ich aus der Tür treten wollte. Ich fand es freilich unfair. Als ob sie auf mich gewartet hätten. Doch das Unwetter hatte keinen Bestand. Die heiße Erde schluckte das Wasser wie ein Hund einen Sahnekuchen, nur ein paar Wölkchen dampften noch über der Erde, bald auch das nicht mehr. Meine Sorgen über eine kommende kalte Wetterfront waren folglich ganz überflüssig. Wer aber wochenlang im Regen marschieren mußte, darf etwas nervös sein, wenn er ein paar Wolken sieht. Bei schönem Wetter hätte ich vielleicht noch die Burgruine aus dem 11. Jahrhundert mit dem letzten Ausblick auf den besucht, so aber war ich entschuldigt. Auf Kuhpfaden ging es talabwärts zum Flüßchen Usses . Noch war es hier kein richtiges Frankreich, sondern Savoyen, das zuvor acht Jahrhunderte italienisch war und erst 1860 den Franzosen in die Hände fiel. Vom italienischen Einfluß jedoch keine Spur, die französische Kultur schluckt wohl alles. Alles schien mir echt Französisch und echt angenehm, und ich fühlte mich wohl. Die Mittagspause verbrachte ich im offenen Garten eines Ferienhauses mit gutem Blick auf die umliegenden Täler. Zuvor habe ich mich verlaufen und stieg völlig unnötig einen fürchterlich steilen Hang hoch, durch Wald, Gestrüpp und viele Kuhfladen. Ich hatte keine Kraft mehr zum Weitergehen, dafür nun aber die gute Aussicht. Zuvor überholte ich zwei urige Engländer, deren Weg ich von oben verfolgen konnte, bis zu der Stelle, wo ich die falsche Abzweigung nahm. Sie wiederholten meinen Fehler nicht und blieben am richtigen Weg, ohne zu zögern, ohne überhaupt stehen zu bleiben. Es waren die einzigen Pilger, die ich an diesem Tag traf, und von der übrigen Menschheit sah ich auch nicht viel.
    In Les C Û tes kam ich dann schon um fünfzehn Uhr an. Zu früh wohl, denn die Herberge war noch geschlossen. Von außen sah sie recht einfach, ja geradezu primitiv aus. Niemand meldete sich am Telefon. Und um die Sache noch besser zu machen, tobte sich hinter dem Haus ein großer Bulldozer aus. Offensichtlich war ich hier zu falscher Zeit an falschem Ort. Ich konsultierte den Führer. Die nächste Herberge befände sich etwa zwei Marschstunden weiter. Es waren an diesem Tag nur siebzehn Kilometer zu gehen, vielleicht kamen noch einige mehr dazu bei den Besorgungsgängen in Frangy. Eine Kleinigkeit, denn unter zwanzig Kilometer war eine Tagesetappe überhaupt keine Rede wert. Und erst jetzt setzte die Hitze ein, dank des Gewitters am Morgen. Es wäre noch zu schaffen gewesen. Noch unentschlossen saß ich auf der Haustreppe und hörte mir das wütende Schnaufen und Heulen des Bulldozers, der sich mit Wollust in einem großen, rotbraunen Loch verbiß. Wie ein Foxterrier im Fuchsbau. Es sah nicht danach aus, als ob er bald aufhören mochte. Also wollte ich mich trotz Reservierung doch lieber schleichen. Wenn keiner da war – eine gute Ausrede. Doch kaum war ich auf dem Weg, da läutete das Mobiltelefon. In einer Viertelstunde werde sie da sein, versprach die Wirtin, sie sei nur einkaufen gefahren. Eine passende Antwort fiel mir so schnell auf Französisch nicht ein. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als

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