Bis ans Ende der Welt
mehr. Ich habe meine Schwäche bezwungen.
Der Campingempfang war von zwei hübschen, jungen Mädchen besetzt, im Restaurant feierte eine Seniorengruppe bei Kaffee, Kuchen und Ziehharmonika irgendwas. Ab und zu ging einer von ihnen an die Tür und sog genüßlich die Luft ein. Echte Genießer mit garantiert trockener Unterhose. Ich trat ein und brauchte nur Sekunden, um die Rezeption in eine schlammige Pfütze zu verwandeln. Die Mädchen versuchten immer wieder aufzuwischen, vergeblich, ich versabberte sofort alles wieder. Zuerst war es mir peinlich, dann ergab ich mich dem Schicksaal. Ich war nun mal naß wie ein streunender Hund, doch schuld war nicht ich, sondern das Wetter. Aber die Mädchen machten mir keine Vorwürfe, ich glaube, sie mochten mich. Sie behandelten mich sehr aufmerksam und beobachteten mich, wenn ich nicht hinsah. Als Pilger bekam ich für lächerliche fünf Euro eine Hütte zugewiesen, die zwar bei näherem Hinsehen etwas herunterwirtschaftet war, doch den momentanen Bedürfnissen perfekt entsprach. Durch eine Glaswand, die auf eine kleine Veranda führte, konnte ich die Natur draußen toben sehen. Ich hatte Mühe, die patschnassen Klamotten vom Körper zu ziehen, und ich mußte noch eine Weile warten, bis der Regen soweit nachließ, um in die Waschräume zu gelangen. Ich duschte mich warm, wusch alles und ließ es im offenen Heizungsraum trocknen. Die nassen Wanderschuhe behandelte ich zuvor mit dem Fön. Das schien mir sehr originell und besserte deutlich meine Laune. Dann rief Bill an und entschuldigte sich. Er war längst in der nächsten Stadt angekommen und ließ es sich in einem Hotel gutgehen. Eines der Mädchen aus der Rezeption lief extra durch den Regen, um es mir auszurichten. Stark. Auf dem Camino regt man sich längst nicht über alles auf. Zum Teil ist man zu müde dazu, zum Teil hat man bald heraus, daß Pläne eben nur Pläne sind. Bill hat umdisponiert, immerhin rief er an, und ich holte mir anderthalb Liter eiskalten Cola und einen Krimi an der Rezeption und leistete mir einen faulen Nachmittag auf der Couch.
Lac de Paladru, km 1087
Am nächsten Tag gab es keine Spur mehr von einem Unwetter. Die Natur räumte auf, nun war alles frisch, nett und harmlos. Gutgelaunt über den zu erwartenden schönen Tag machte ich mich schon sehr früh auf den Weg und holte in Les Abrets Bill ein. Hier verläuft die Eisenbahnlinie Grenoble — Lyon, und es machte Freude, die eleganten TGV-Züge vorbeigleiten zu sehen. Die Jura-Alpen waren zu Ende, die Landschaft veränderte sich merklich, auch der Menschenschlag war etwas anders. Den Morgen hatten wir angenehm verbummelt, bevor es weiterging. Es gab hier auch etwas zu kaufen, was es zu nutzen galt, weil der Camino auf weiten Strecken über Stock und Stein geht, und man überhaupt froh sein kann, einmal am Tag wenigstens eine Baguette kaufen zu können. Das Stangenbrot trug ich dann, wie es sich für einen echt französischen Randonneur gehört, in voller Länge quer hinten am Rucksack. Es stimmte den Pilger luftiger, fröhlicher, und ich glaube, die Zuschauer ebenso. Es ging wieder aufwärts, um knappe vierhundert Höhenmeter an diesem Tag. Das machte sich aber nicht sehr bemerkbar, wir marschierten flott und vergnügt ohne viel zu reden.
Spontan lud ich Bill zum Mittagsessen in einem romantischen Gîte ein, der von zwei attraktiven jungen Frauen und dem Riesenhund Nikolai geführt wurde. Es war eine außergewöhnlich mächtige, zottige und furchterregende Bestie, weshalb ich ihr sogleich den Spitznamen La Bête du Gévaudan verpaßte. Das historische Untier machte sich stets nur an die Frauen heran, Männer ignorierte es. Insofern ergaben Nikolai und die zwei junge Frauen ein interessantes Trio. Das Essen war köstlich, der Wein ebenso. Hier fühlten wir uns wirklich zu Hause, genossen die weibliche Gesellschaft. Sogar Nikolai schien uns zu mögen und ließ sich von uns willig kraulen. Bill verschwendete viel Speicherplatz seiner Digitalkamera, um uns, die Mädels und Nikolai ins rechte Bild zu rücken. Eine Weile spekulierten wir sogar, daß es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, an einem solchem Ort einfach hängen zu bleiben, und wenn es sein sollte, auch bis ans Ende aller Tage. Bill schien beeindruckt, als ich ihm erzählte, nach dem siebenten Oktober keine Termine und keine Pläne mehr zu haben, da ich nicht wußte, wie diese Reise ausgeht. Es sei nur ein Mann mit Bewegungsdrang, dem England zu klein geworden ist, meinte er
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