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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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bescheiden. Aber das war untertrieben, Bill war ein aufrichtiger Pilger und Wegsucher. In diesem Sinne fiel uns der Abschied von Nikolai und den Mädels nicht leicht. Ich will nur hoffen, daß sie von der Bestie noch nicht verspeist wurden.
    In Le Pin, wo eigentlich mein Etappenziel sein sollte, war der Gîte tatsächlich schon besetzt. Es gab kein Bett mehr und keine Alternative vor Ort. Das ist mir erstmals passiert, und leichtsinnigerweise hatte ich keine Reservierung wie Bill. Eine andere Übernachtungsmöglichkeit gäbe es einige Kilometer abseits am Lac de Paladru. Es existierte kein Wanderweg, an der Abzweigung ging ich vor einigen Kilometern achtlos vorbei. Jetzt konnte man nur auf einer ausgebauten Asphaltstraße dorthin gelangen, die um diese Zeit von den heimkehrenden Arbeitspendlern rege befahren wurde. Es war nicht gerade angenehm, und ich versprach mir nichts vom See und schon rein gar nichts von der Pension, und den vorbeiflitzenden Autos hätte ich am liebsten faustgroße Steine nachgeschmissen, wie es die orthodoxen Juden in Israel am Sabbat gerne tun, tat es dann als rechtschaffender Bürger freilich nicht. Ich litt statt dessen still in mich hinein, weil es nichts gab, um den Frust loszuwerden, als solange zu gehen, bis man da war. Aber als ich dann endlich in der Pension ankam und von der Terrasse auf den darunter liegenden tiefblauen See zwischen den Berghängen blickte, da war ich des Umwegs mehr als froh. Es war schlicht und einfach paradiesisch da, schade nur, daß ich mein Segelboot nicht dabei hatte. Am besten aber waren die Wirtsleute, ein älteres Ehepaar, freundlich, gastlich und sehr gesprächig. Die Unterhaltung passierte ausschließlich in Französisch. Niemand hier sprach eine andere Sprache, niemand nahm an, man könnte sich in einer anderen Sprache unterhalten. Wir dinierten auf der Terrasse vor dem Haus, blicken dabei auf den sich langsam verdunkelnden See und wußten, wie kostbar dieser Augenblick sei. Etliche Menschen, die ich kenne, wohnen sehr komfortabel an wirklich schönen Plätzen, ohne sich dessen so richtig bewußt zu sein. Sie nehmen es einfach hin, als ob es ein käuflich zu erwebendes Recht wäre, etwas, was ihnen von Natur aus zusteht. Hier war dem nicht so, man wußte, was man hatte, und war dem Herrn für jeden Augenblick dankbar. Es erinnerte mich an den alten Mann in einem kleinen Ort an der ligurischen Küste unweit von Portovenere, das eigentlich nur aus einer zwischen zwei Felsen steil ins Meer abfallenden Straße und ein paar Häusern bestand. Ganz aufgeregt lief der fidele Alte auf dem tief gelegenen, in den Felsen gehauenen Aussichtspfad hin und her, deutete auf das prächtig einbrechende Meer und rief: „Was für eine Freude, was für eine Schönheit, was für ein Glück!“ Dabei nahm er mich zart an der Hand, damit ich auch bestimmt das sehe, was er sah, und was ihn so bewegte, daß er es unbedingt mit den anderen teilen mußte.
La Côte-St-André, km 1116
    In der Nacht stand ich noch einmal auf, sah den Himmel, und wie er sich flimmernd im See spiegelte, bis mich die Vernunft wieder ins Bett trieb. In so einer Nacht malte Van Gogh das Bild Sterne über der Rhône . Und die Schönheit der Schöpfung erstreckte sich noch über das Frühstück auf der Terrasse hinaus auf die ersten zehn Kilometer Weges mit dem malerischen Seepanorama im Blick. Im Hintergrund erhob sich die Chartreuse-Steilwand. Dann aber wurde es heiß und fad. Ich traf wieder auf Bill, und wir kämpften uns mühsam weiter. Wir schwitzten heftig, und die Fliegen fraßen uns auf. Ihr gutes Recht, nehme ich an. Eine neue Gewitterfront war wohl im Aufzug. Zum Mittag erreichten wir Le Grand Lemps, kauften Lebensmittel ein und machten auf dem Friedhof eine ausgiebige Pause. Manche Friedhöfe sind echt romantische Plätze. Der hier war aber nicht so toll. Keinen Baum gab es, keine Farbe, nur nackte graue Steine. Aber es war hier eine recht geschäftige Stadt, und der Friedhof war vermutlich der einzige ruhige Ort. Bill spendierte zu diesem Zweck — völlig überflüssig — eine Flasche Weißwein, so saßen wir wie zwei Saufbrüder auf der Bank vor dem Leichenhaus und tranken gelassen. In den Vereinigten Staaten hätte man uns vermutlich deshalb verhaftet. Die Wiege der Freiheit. Ich machte Bill auf diesen Umstand aufmerksam, und wir lobten Frankreich und spotteten Amerika. Von hier reservierten wir telefonisch die Übernachtung in La Côte-St-André. Auf keinen Fall wollte ich noch einmal

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