Bis ans Ende der Welt
hätte.
So ein französischer Gîte ist aus meiner Sicht eine pfiffige Einrichtung. Es gibt sie privat und kommunal. Bisher lernte ich nur die privaten kennen, und es war jedesmal ein Erlebnis, weil man neben der eigentlichen Übernachtung auch den Tisch und die Eigenart der Besitzer kennenlernte. Hier war Louis Revel der Herr und Meister. Der Führer nannte ihn „eine interessante Persönlichkeit“, was höflich untertrieben war. Seine Herberge hatte etwas von einem Ferienlager im Umbau. Nicht alles funktionierte immer wie erwartet. Offene elektrische Leitungen und so, alles chaotisch. Hoch am Berg gelegen, übersah sie das Tal duzende Kilometer weit bis zum Horizont. Dort wälzte sich nun das schwarze Gewitter hin und her, schleuderte Wasser und Blitze um sich herum und war ein überaus spannender Anblick, während wir gelassen ein Begrüßungslimo schlürften. Eine gute Sitte, denn Pilger sind immer durstig. Luis hielt dazu einen längeren Vortrag, dessen Inhalt ich schon vergaß, außer daß er zum eigentlichen Lebensunterhalt mit seinem Minibus Kinder zur Schule fährt. Die Herberge sei so etwas wie ein Lebenstraum, den er kontinuierlich durch Ausbau erweitert. Er war etwas mürrisch, weil er Schmerzen hatte. In einer Woche sollte er neue Hüfte bekommen. Wir mußten versprechen, an diesem Tag für ihn zu beten. Sogleich schleppte er uns über viele Stiegen und Gänge in seine selbstgezimmerte Hauskapelle, wo er einen ziemlichen Hokuspokus veranstaltete, bis den reformierten Engländern Augen und Ohren übergingen. Bill, der bereits bis nach Compostela wanderte und neben anderen politischen Posten auch noch den eines Kirchengemeinderats inne hatte, trug die Sache einigermaßen mit Fassung. Doch sein Sohn Robin stand solcherart ideologischer Keule konsterniert gegenüber. Als Personalmanager eines Konzerns hatte er für katholische Glaubens- und Liturgiefragen wohl kaum viel Zeit übrig, da zählen sowieso andere Werte. Bill und ich sahen gespannt zu, ob er nicht etwa Reißaus nimmt, aber er hielt mit etwas gestreßten Ausdruck durch. Immerhin verlangte uns Louis keine Kasteiung ab, sondern mehr oder weniger nur die aktive Teilnahme an Gebet und Gesang. Daß Robin am nächsten Tag dann eiligst abreiste, um seinem Konzern personalmäßig auf die Sprünge zu helfen, mag ein Zufall gewesen sein. Aber die Lage war zumindest eine Weile ziemlich angespannt. Das gute Dinner half bestimmt, und Louis war so weit ein Menschenkenner, um einzusehen, daß es noch mehr zu tun gab, so brachte er in kurzen Abständen etliche Weinflaschen lokaler Herkunft auf den Tisch und tat dies so lange, bis das angeschlagene kalvinistische Gemüt vor dem französischen Savoir vivre kapitulierte.
Le Verou, km 1065
Die ganze Nacht tobte das Unwetter, was mich freilich nicht vom Schlaf abbringen konnte. Doch der Blick aus dem großen Speisesaalfenster beim Frühstück versprach nichts Gutes. Bis zum Horizont ballten sich schwarze Wolken zusammen, ein starker Sturm rüttelte an dem exponiert gelegenen Haus und versuchte die Scheiben einzudrücken. Louis drängte zum Abschied, da er eine seiner Schülerfahrten zu absolvieren hatte, obwohl es eigentlich seit drei Tagen überall in Frankreich Ferien gab. Die Engländer, absolut rostfrei und wetterfest, starteten schon um acht Uhr bei strömendem Regen, ich wartete noch eine Stunde länger auf eine Regenpause. Durch nasse Wiesen und auf schlammigen Pfaden ins Tal unterwegs, verbreitete ich im Geiste Optimismus. Wirf deine Sorge auf den Herrn, er hält dich aufrecht! Er läßt den Gerechten niemals wanken. [26] Von wegen! An einer Hagebuttenhecke blies mich der Sturm fast von den Beinen, der Regen wurde immer heftiger und trommelte jetzt laut auf meinen Schädel ein. Wie auf ein rostiges Blechdach. Der Regenponcho hielt der Belastung nicht mehr stand, außerdem war er für den fast wagerechten Regen viel zu kurz. In der Folge sogen sich die Hosenbeine voll und transportierten rasch die Feuchtigkeit immer höher, bis nicht nur die leichte Wanderhose, sondern auch die Unterhose patschnaß wurde und an den empfindlichsten Stellen schmerzhaft zu scheuern begann. Es überraschte mich nicht sehr, daß auch die angeblich wasserdichten Bergschuhe auch naß wurden. Es war ein Fiasko.
In St-Genix nahm ich Abschied von Savoyen und von der Rhône. Aus Trotz und Verzweiflung über das miserable Wetter aß ich den im Führer hoch gepriesenen Gâteau Labully und trank dazu eine Tüte Milch. Der
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