Bis ans Ende der Welt
Wein und Käse verbracht, waren ein Luxus. Doch sie hatten einen Preis. Als ich dann endlich aufbrach, war der Gîte bereits geschlossen, und während wir die Zeit mit Stadtbesichtigung vertrödelten und draußen auf die Wirtin warteten, telefonisch von anderen ausgebucht. Es war ein recht origineller Neubau aus Holz und Glas mit großer Gemeinschaftsküche und einem Aufenthaltsraum. Hier hätten wir gut kochen und feiern können, zumal es in der Stadt alles Nötige zu kaufen gab. Eine einmalige Konstellation. So mußten wir noch acht Kilometer weiter ziehen, was wir etwas mürrisch taten. Ich versüßte mir den Verlust mit dem Besuch einer Ausstellung von zwölf Tafeln des Flamen Abel Grimmel aus dem Jahre 1592, den es hierher wegen der Pest verschlug. Die Chapelle Notre-Dame , welche selbst aus dem 12. Jahrhundert stammte, lag ja sowieso direkt auf dem Camino. Rebekka hatte kein Interesse an dem alten Schnickschnack und ging einfach voraus. Ich aber freute mich aufrichtig darüber, so wie ich mich über den schönen Pilgerstempel von der Stadtpfarrei freute. Zwei schöne alte Kirchen, eine Bildausstellung besichtigt, einen Stadtbummel ohne Gepäck unternommen und zwei Stunden in der Kneipe verbracht war eine gute Tagesleistung. Und wir konnten endlich wieder Vorräte bunkern.
Der Weg entlang der Bahnschienen und später am Flüßchen Lignon erwies sich als abwechslungsreif und romantisch. Die Bahnstrecke wird nur noch von einem historischen Bummelzug befahren und der Touristen wegen im Originalzustand belassen. Anfangs mußten wir noch einige Straßen passieren, Bahngleise queren und komplizierte Haken schlagen, aber alles war bestens beschildert. Nun kam endlich auch die Sonne durch die Wolken zu uns, es wurde angenehm warm. Bald hüpften Hasen auf dem Weg herum und zeigten kaum Scheu vor den Pilgern. Wahrscheinlich wußten sie über ihre Harmlosigkeit längst Bescheid. Ich bereitete mich im Geiste auf die Ankunft in Le Puy vor. Heute konnte ich gegenüber der Einteilung im Führer wieder eine halbe Tagesetappe hamstern. Insgesamt lag ich schon fünf Tage vor dem Plan. Nicht, daß mir daran gelegen wäre, schneller anzukommen. Dazu lag das Ziel noch völlig außerhalb des Horizontes. Aber ich rechnete mit künftigen Hindernissen. In meiner Zeiteinteilung waren zum Beispiel überhaupt keine Ruhepausen mit einbezogen. Doch ab und zu, alle paar hundert Kilometer zumindest, mußte man eine machen. Die kontemplative Wirkung des Camino nutzte sich sonst ab. Man versachlichte, ging achtlos an Kirchen und Kreuzen vorbei, verlor sich in weltlichen Sorgen. Ich spürte auch rein körperlich die Strapazen. Zumindest alle fünfhundert Kilometer sollte man ausruhen. So hoffte ich inständig, etwas verweilen zu können und dadurch neue Kräfte zu sammeln. Es war die geistige Quelle, an die ich mich legen wollte, und ich zählte schon seit einer ganzen Weile die Tage.
Zweimal schon wiesen handgemalte Wegschilder auf einen Gîte mit dem eigenwilligen Namen Petite Papeterie hin. Immer in eine andere Richtung abseits des Camino. Bis urplötzlich, als wir gerade einen steilen Abhang zum Fluß nahmen, die alte, nun zur Wanderherberge umfunktionierte Papiermühle links vor uns lag. Romantisch und gemütlich an einem sauberen Bach, mit grüner Wiese davor. Und wie schon so häufig, offen und verlassen. Nur ein kleiner farbiger Zettel wies die Pèlerin und Randonneur an, sich telefonisch anzumelden. Das Haus trug etwas von dem verlorenen Charme des Fin de Siècle, stammte aber in Wirklichkeit schon aus dem Jahre 1645. Drinnen standen uns drei große Räume zur Verfügung, die sich durch französische Fenster zum Bach und Wiese öffneten. Zum Schlafen waren hinten kuriose Holzverschläge mit Pritschen bestimmt, der Bereich davor diente als Aufenthaltsraum und Küche mit allem sinnvollen Geschirr und Ingredienzien und ein paar Grundnahrungsmitteln. Das meiste davon ließen die Pilger selbst zurück, um sich mit unpraktischen, geräumigen und riskanten Dingen nicht abschleppen zu müssen. Wer etwa möchte eine angebrochene Flasche Öl im Rucksack mittragen? Also war Öl meist überall vorhanden. Nur verlassen konnte man sich nicht darauf. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf und kochte uns ein scharfes ungarisches Letscho, das von Rebekka tolerant aufgenommen wurde. Gemüse, Wein, Käse, Baguette und noch vieles mehr brachte ich aus Montfaucon auf dem Rücken mit. Ich kaufte nur deshalb so großzügig ein, weil ich zur Einkaufszeit noch
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