Bis ans Ende der Welt
freudige Erregung eines Hundes bei der Begegnung mit dem ihm vertrauten Menschen.
Da gerade der Herr mit uns ging und mit uns rastete, zeigte ich auf den Hund. War er nicht auch sein Geschöpf? Er aber zuckte die Schultern. Die Tiere und die Pflanzen, die ganze irdische Welt, seien auf den Menschen hin geschaffen, ihm übergeben worden. Darin solle er als Gottes Ebenbild die Herrschaft zunächst haben und üben, so wie Gott über die Menschen, solange die Welt noch dauert. Auf alle Wesen legte er die Furcht vor ihnen, über Tiere und Vögel sollten sie herrschen. [29]
Also waren wir, ich und das Mädchen, für den Hund zuständig, der als hoffnungsloser Fall unseren Weg kreuzte. Wäre er nicht so räudig und verlaust, hätten wir ihn streichen und damit vielleicht trösten können, aber so? Vielleicht hätte es für ihn den Unterschied ausgemacht. Als ich damals nach dem Unfall zerbrochen auf dem Boden lag, hielten zwei fremde Frauen meine Hand. Das änderte nichts an meiner Verletzung, aber ich ging nicht davon. Seitdem stehe ich auf Ohrenstreicheln und Pfotenhalten. Und unsere Hände zückten wohl sehr, doch haben wir unsere Herzen mit Verstand mit guten, wohlgemeinten Ratschlägen verhärtet und gaben dem Hund nur ein wenig von unserer kargen Mahlzeit. Er aber, obwohl nun wirklich nur Haut und Knochen, fraß tatsächlich kein Brot, nur die Pastete und die Wurst, wie es junge Hunde zu tun pflegen, und sprang und schnupperte freudig herum zum Zeichen, daß er mehr von den guten Sachen vertragen könnte. Das war glaubwürdig, wir gaben ihm ja nur ganz wenig. Doch eigentlich gehörte er erschossen. Aus Mitleid und Vernunft, würde man bei uns sagen. Aber ich konnte mich Menschen erinnern, die ähnlich hoffnungsloses Bild boten wie eben dieser junge Hund. Samt des baumelnden Tumors an der Brust und dem Biß im Rücken. Und noch viel weniger Anmut zeigten. Ich gab dem Herrn recht, es ist nicht einfach, über Geschöpfe zu herrschen.
Wir gingen weiter, und der Hund folgte uns nach. Manchmal verschwand er im Gebüsch, manchmal lief er auch einige Schritte voraus. So ging es eine ganze Weile, und wir führten ihn allmählich heraus aus der Wildnis. Als wir uns dem ersten Gehöft näherten, wurde er sichtlich unruhig. Wir mußten mitten durch, und drinnen hallte unmißverständlich das wütende Kläffen des wohlversorgten kollegialen Haushüters. Abwartend ließ er uns in den Gefahrenbereich treten und folgte erst nach, als er uns unversehrt passieren sah. Das wiederholte sich noch ein paar mal, dann wurde er sicherer und manchmal sogar ganz keck. Ich bin auf dem Camino schon vielen Haus- und Hofkötern begegnet und konnte mich, mit dem Pilgerstab gerüstet, wohl jedem von ihnen entgegenstellen. Auf meiner Seite war er also ganz recht sicher. Trotzdem wagte er keinen Laut, egal wie herausfordernd das Gebelle hinter der Pforte war. Selbst bellen konnte er vielleicht gar nicht, er tat es kein einziges Mal, aber da hielt er richtig den Atem an. Schon war im Tal vor uns Montfaucon zu sehen, und wir fragten uns, ob ihn nicht da eine mitleidige Seele aufnehmen könnte. Oder erschießen? So wie er aussah, hätte man ihn nicht auf der Straße frei laufen lassen. Es hätte Panik auslösen können. Doch draußen im Wald hätte er den Winter auch nicht überstanden. Nicht mit dem halben Gebiß. Schon jetzt konnte man seine Rippen einzeln zählen. Erleichtert betraten wir den letzten Hof, den Hund dicht auf den Fersen. Als wir auf der andern Seite herauskamen, war er weg. Wir sahen ihn nicht wieder, wir sahen ihn auch nicht zurück laufen.
Montfaucon-en-Velay listete der Führer als ein mögliches Etappenziel mit Übernachtungsmöglichkeit. Mit etwa zwölfhundert Einwohnern war es geradezu riesig. Es hatte absolut alles, was einem viel größeren Ort auch zustehen würde, sogar einen eigenen Bahnhof, und hob sich kraß von der Einöde ringsum ab. Wir sind da pünktlich um zwölf Uhr Mittag angelangt und stießen in einem Straßenrestaurant gleich auf Jörg, der schon ungeduldig auf das bestellte Essen wartete. Er wollte schneller laufen, um früher nach Hause zu fahren und seiner Frau bei der geplanten Knieoperation beizustehen, erzählte er. Vermutlich war es nur eine Ausrede. Über längere Strecken war mit Beeilung nicht viel rauszuholen. Auf die Stetigkeit und Ausdauer kam es an. Aber das tat der Unterhaltung keinen Abbruch. Zwei Stunden mitten am Tag, statt unterwegs mit Rucksack auf dem Rücken zu strampeln, im Gespräch bei
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