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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Rebekka war am Ende ihrer Kräfte. Lieber hätte sie sich vom Blitz erschlagen lassen, als jetzt noch zu laufen. So gab ich auf, da ich sie nicht allein zurücklassen konnte, wollte. Vielleicht lernte man in Wallis nicht, ums Leben zu rennen. Und der Herr sah auf unsere Demut und hielt an, und alles erstarrte in unheimlicher Stille und Dämmerung. Und so zogen wir ins Dorf hinein, als ob da nichts mehr wäre, als ein sanfter, hellblauer Abend mit rosa Goldrand.
    Dann aber mußten wir wieder zurück und aus dem Dorf hinaus, denn das kleine Chambre et table d’hôtes lag draußen im Grünen. Und gerade als wir im Begriff waren, in die Einfahrt einzubiegen, tauchte ein Wagen mit Touristen auf, die wohl überall in der Gegend hätten Unterkunft suchen können, es aber vorzogen, uns die letzten freien Zimmer vor den Nase wegzunehmen. Ihren Mienen nach zu urteilen, fanden sie gar Spaß daran. Alles flehen und betteln half nicht, auch nicht der Hinweis auf den baldigen Weltuntergang, und wir machten uns auf den Weg zu einem obskuren Gîte, der irgendwo da oben in einem Seitental tout sûr sein sollte, und zu dem uns eine äußerst knappe Wegbeschreibung von zwei, drei Sätzen führte. Und so zogen wir in der unheimlichen Dämmerung und Stille noch einmal anderthalb Stunden weiter hinauf in die Berge, weg von dem Camino. Und der Herr hielt die ganze Zeit das Unwetter ab und ließ es nicht eher losgehen, als daß wir nach Irrwegen ganz sicher in dem gemütlich restaurierten alten Bauernhaus saßen und die Katastrophe draußen warm und trocken durch die Glasscheibe ausführlich betrachten konnten. An Eßbaren fand ich in meinem Rucksack ein Stück von einer Baguette, das ich aus irgendwelchem Grunde bereits seit fünf Tagen mit mir trug, einen Würfel Gemüsesuppe und ein paar Kekse. Rebekka steuerte zwei von insgesamt vier Tütchen Capuccino bei. Die anderen zwei sollten zum Frühstück aufgespart werden. Und in der Küche fand ich zwei winzige Fläschlein Weißwein, die hier zum Kochen verkauft werden. So wurden wir beinahe auch noch satt und trunken, während draußen in der Dunkelheit der Regen härter und härter gegen die sündige Erde schlug und nicht aufhörte, bis es Morgen wurde. Wir konnten dem getrost zuhören, jeder in seinem eigenen Zimmer, im großen französischen Bett, mit eigenem Bad und der Heizung an.
    Es war ein guter Ausgang, und doch sah es einige Stunden zuvor so aus, daß wir die Nacht irgendwo in einer Höhle, sollten wir überhaupt welche finden, verbringen müssen. Der Herr hat uns nicht verlassen. Er behütet die Schritte seiner Frommen, doch die Frevler verstummen in der Finsternis; denn der Mensch ist nicht stark aus eigener Kraft. [30] Ich versuchte ihm zu danken, aber er sauste noch durch die Berge, ließ überall Wasser fallen und erschreckte das Volk mit Blitz und Donner. Erst kurz vor der Dämmerung sackte er den Wind ein, entfachte die Sterne und schickte den Mond durch das Tal.
Le Puy-en-Velay, km 1304
    In der Frühe jedoch war alles nur naß, neblig und kalt, daß es einen schauderte. Bis Queyrières lief es sich auf dem Asphalt immerhin noch gut in Sandalen, danach aber stürzte der Camino in ein enges, klitschiges Tal hinein und erforderte wieder Bergschuhe. Da war alles verworren und gar zum Fürchten, alles von einem wilden Dickicht überwuchert. Schon hier mußte ich ständig auf Rebekka warten. Sie verbrauchte gestern offenbar alle ihre Kräfte, und gegessen haben wir auch kaum etwas, um sie aufzufrischen. Sie war allerdings sehr tapfer, klagte und nervte nicht. Ich an ihrer Stelle hätte es vielleicht getan. Immerhin ging es bergabwärts, und bis elf Uhr schlugen wir uns dann recht anständig bis nach Saint-Julien-Chapteuil durch, wo wir als erstes in einer Konditorei zum verspäteten Frühstück einkehrten und ein paar Grundnahrungsmittel bunkerten. Nach einer Stunde hielt ich die Krise für überwunden und drängte zum Aufbruch, als Rebekka gerade den Entschluß zu bleiben faßte. Ich begleitete sie noch zur Herberge in der Hoffnung, dort einen schönen Stempel zu ergattern, aber es war wie üblich niemand da. Die letzten Nachtgäste trafen wir voller Tatdrang noch auf dem Hof. Damit sich keiner vor der Bezahlung drückte, stempelten die Verwalter der kommunalen Gîtes die Pilgerbücher häufig erst beim Kassieren der Logis. Dazu brauchten sie erst gegen Abend kommen, und wer auf sein Pilgerbuch etwas hielt, hatte da zu sein. Das waren dann wirklich alle. Rebekka also hatte die

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