Bis ans Ende der Welt (German Edition)
ein großes Gewitter nach der Pause, grelle Blitze und tiefer Donner mischten sich ein. Unsere Sachen auf der Wäscheleine im Garten hinter der Herberge wurden patschnaß. Es paßte irgendwie zur Stimmung. Nach dem Konzert gingen wir mit Elisabeth in die einzige Bar vor Ort, um Abschied zu feiern, doch es war lau. Wir hielten uns tapfer, doch war es ein langer Tag, an einem anderen wären wir längst im Bett gewesen. Wir waren einfach körperlich und emotionell erschöpft. Zurück in der nun stillen Herberge schliefen wir bald ein. Als ich in der Nacht aufwachte, schlief Joanna unruhig, sprach im Schlaf, Elisabeth, bis zum Scheitel im Schlafsack eingerollt, gab keinen Laut vor sich. Pas de Sissi! Nicht denken, schlafen.
Livinhac-le-Haut, km 1531
Der Morgen kam, er hätte mit einer Pilgermesse passend für diesen Ort anfa n gen müssen. Laut Führer gab es jeden Morgen eine Messe mit Pilgersegen. Aber Elisabeth schien es an diesem Tag nicht zu kümmern. Wir frühstückten lange, und alles zog sich fade dahin. Ich kam einfach nicht weg, blieb bei Elisabeth, zog mit ihr herum, um Geld, um Reiseauskunft zu holen. Es war nicht der beste Ort, um den Camino zu verlassen. Es ging hier kein Zug, kein Bus, sie konnte bestenfalls ein Taxi nehmen, was teuer kam. Ich schlug vor, von hier aus g e meinsam nach Lourdes zu gehen, dann einfach weiter über die Pyrenäen nach Santiago. Das wäre etwas. Und wer weiß, was daraus hätte noch werden können. Irgendwann mußte ich dann doch los. Es war heute eine Etappe wie jeden Tag, sie mußte gegangen werden. Es hieß, endgültig Abschied zu nehmen. Doch J o anna war seit dem Morgen nicht auffindbar. Daß auch sie nicht mit mir gehen wird, stand sowieso fest. Angeblich wollte ihre Mutter kommen, und sie konnte sich bis dahin richtig erholen. Doch verabschieden wollte ich mich von ihr. Auch sie ist ein Teil von mir geworden. Es wollte mir nicht in den Kopf, wohin sie verschwunden sein konnte. Der Ort war so winzig klein, daß man sich pra k tisch überall begegnen mußte. Die Herberge war fast leer und schnell durc h sucht. Alle Pilger und die meisten Gäste waren schon längst auf dem Weg. Nur ein paar Heimkehrer waren noch übrig. Es war nichts zu machen, ich schulterte den Rucksack. Da tauchte wie aus dem Nichts Joanna mit Stephanie auf. Vie l leicht lauerten sie irgendwo um die Ecke, damit sie uns nicht stören, wer weiß. Ich segnete sie alle drei und trödelte mit ihnen vor dem Eingang der Herberge noch ein wenig mehr herum. Der Herr sah allem geduldig zu, als ob er ohne mich rein gar nichts zu tun hätte. Aber wie lange kann man einen Abschied hi n auszögern? Im Weggehen sah ich Elisabeth auf der Mauer sitzen und weinen, ihr schönes Gesicht ganz rot und geschwollen. Armes Mädchen . Je ne t’oublie pas, jamais. In diesem Augenblick wußte ich, ich liebe sie, und sie liebt mich, zumindest in diesem Augenblick, der in jedem Leben so kostbar ist. Doch bei mir b e sonders, da ich seit Jahrzehnten keinem Menschen so nahe kam. Auch wenn u n sere Liebe keine Chance hatte. Der Herr wußte es vielleicht, aber er schenkte uns diesen Augenblick des glücklichen Staunens über das Wunder der Liebe. Ich nahm sie in die Arme, bis sie sich beruhigen konnte. Mir wäre es li e ber, die zwei anderen Mädchen nicht dabei zu haben. Dann hätte ich einfach den Rest des T a ges mit Sissi da stehen können. Aber sie saßen da auf der Mauer und sahen uns mitfühlend zu und wußten genau, was da passiert, weil Frauen einen sechsten Sinn dafür haben und bei so etwas hemmungslos gerne zusehen möc h ten.
Ich riß mich los und ging, ohne mich umzudrehen, machte noch einen kleinen Hüpfer, um mir Mut zu machen. Die romantische Stadtkulisse war zu einem so l chen Abschied wie geschaffen. Doch ich verließ die Stadt fast blind, passierte das enge Stadttor, die romanische Pilgerbrücke über den Fluß und freute mich über den extra steilen Aufstieg auf der anderen Talseite, der mir zwar den Atem, doch auch den Schmerz raubte. Und ich hätte alles einigermaßen männlich übe r standen, käme mir nicht eine kleine Kapelle der Sainte-Foy an einer Wunde r heilquelle in den Weg. Ich kehrte hier ein, weinte und betete für Elisabeth und alle meinen Mädchen und auch für alle verkorksten Beziehungen meines L e bens, die mich bis hierher führten. Es war ein emotioneller Kurzschluß. Als ich dann nach mehr als einer Stunde herauskam, wartete eine Frau wohl schon seit langer Zeit vor dem Eingang. Wer weiß, was
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