Bis ans Ende der Welt (German Edition)
nichts, ich mußte sie anfassen, damit sie aufwacht. Sie machte die Augen auf und lächelte mich an, daß ich die Engel durchs Zimmer fliegen sah. Darum heißt es: Ich erwachte und blickte umher, und mein Schlaf war süß gewesen. [37] Joanna dagegen war schon fix und fertig gepackt und grimmig entschlossen, nicht später als um sieben Uhr aufzubrechen, damit wir unterwegs mehr Ruh e pausen einlegen können. Beide Mädchen hatten gute Argumente, das sah ich ein. Aus dem Gespräch beim Frühstück war nicht herauszuhören, warum sie nicht die ganze Nacht zusammen im Zelt blieben. Elisabeth entschuldigte sich bei mir für die nächtliche Störung, ich entschuldigte mich, Pilgerstäbe vor die Türe zu stellen. Beides war überflüssig, wie wir wußten. Joanna hörte dem zu und sagte nichts, fragte nichts, machte keine Miene. Am Ende starteten wir wi e der wie üblich erst weit nach acht Uhr. Ich war auch nicht ganz unschuldig da r an. Am Morgen bin ich halt ein Muffel. Es war schon so spät, daß wir noch im Laden an der Straße Verpflegung für den Tag einkaufen konnten. Es machte mich immer irgendwie glücklich, am frühen Morgen frisches, noch ofenwarmes Brot zu kaufen und dann mit der Baguette - quer unter dem Rucksackriemen g e schoben - voller Lust und Erwartung in den blauen Tag zu schreiten.
Die Gegend hier lag zwischen drei- bis sechshundert Höhenmetern relativ tief, war aber trotzdem ziemlich bergig. Es ging links und rechts, rauf und runter, es war kein leichter Weg, vor allem nicht für Joanna. Auch wenn wieder die Br e mer für den Transport ihres Gepäcks Sorge trugen. Sie schien mir heute irgen d wie muffig gelaunt zu sein, vielleicht hatte sie abermals Schmerzen. Mit mir wollte sie offenbar nicht darüber reden. Zunächst gingen die Mädchen wie g e stern zusammen und plauderten luftig dahin. Doch plötzlich beschlossen sie sich zu trennen. Wir zwei sollten vorangehen und Joanna langsamer hinterher. An einer schönen Stelle am Weg wollten wir uns zur Siesta treffen. Es war schon wieder ein Rätsel. Elisabeth hätte sich normalerweise auf so etwas nicht eing e lassen. Und ich wurde überhaupt nicht gefragt.
Elisabeth legte gleich los, und mir blieb nur übrig, ihr zu folgen. Alles verlief scheinbar ganz normal. Die Landschaft war herrlich, die Weiler und Einöden pittoresk aus grauem Stein aufgeschichtet. Türen und Fenster standen überall o f fen, Hunde lagen faul auf der Treppe, dösten und ließen sich in keinerlei Weise von den Hühnern und Enten stören, mochten diese auch über sie stolpern. Kein Mensch ließ sich sehen, es sei denn eine fleißige Bäuerin lief schnell in den Gemüsegarten ein paar Tomaten pflücken, warf uns einen versteckten Blick zu und verschwand wieder. Bäuerliche Aktivitäten gleich welcher Art waren nicht auszumachen, Misthaufen, Kuhfladen und Güllegestank sind uns schon ein paar Tage nicht mehr begegnet. Dafür immer wieder ganze Felder mit kobaltblauen Schmetterlingen auf dem Weg, die geschickt genau dem drohenden Fuß Platz machten und mit einem Flügelschlag alle auf einmal die Farbe wechselten. Es schien eine Art von kollektiver Intelligenz. Überall wuchsen Blumen in allen Variationen. Ein völlig verwachsener Garten vor einer grauen Scheunenecke blühte brusthoch in den intensivsten Farben. Das war alles nur Unkraut. An j e der Ecke konnte man Thymian, Rosmarin und Lavendel pflücken. Man mußte sich dazu nicht einmal bücken. Ich nahm immer eine Handvoll im Vorbeigehen, zerrieb sie in den Handflächen und roch daran. In der zunehmenden Hitze war es wortwörtlich eine Wonne, und wir berauschten uns daran den ganzen Weg. Der steife Südwind trug uns noch tausend andere Gerüche zu. Es war wie eine Ar o matherapie. Wir waren im Süden, alles wuchs und blühte und strebte mit Lust und Gewalt zum Himmel. Am meisten davon die große Libanon-Zeder, die es hier überall gab, gefolgt von den riesigen Pinien. Ein oder zwei solche Bäume gaben dem ganzen Grundstück Schatten. Der Himmel spannte sich weit und tief, daß einem vom Zusehen gar schwindlig wurde, und der Horizont glühte wieder wie eine Feuerbrunst. Ich übte mich mit Sissis Hilfe in der französischen Au s sprache, plapperte gemäß meiner Theorie von Hören-Sprechen-Fühlen spaßige französische Sätze und Laute. Elisabeth ertrug meine Narretei mit Geduld und Nachsicht, denn ich glaube, sie sah mich gerne glücklich.
Irgendwo waren unsere Kräfte erschöpft, doch eine zum Ruhen geeignete Stelle wollte und
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