Bis ans Ende der Welt (German Edition)
sie sich dachte. Ich wusch die ve r weinten Augen in der wundertätigen Heilquelle, die Blinden sehend macht, und setzte den bestialisch steilen Aufstieg fort. Kein Schmerz war mir groß genug. So schön war es hier, so zart war der Tag, ein anderes Mal würde ich den Herrn um seine Schöpfung preisen, nun sah ich kaum vor die Füße. Um mich abzule n ken, dachte ich daran, daß ich seit einiger Zeit nicht mehr so gut sehe, und daß eine kleine Wunderheilung wirklich nicht schlecht wäre, und daß meine Liebe s probleme nicht mein größter Kummer sein sollten. Dennoch brauchte ich noch eine ganze Weile, bis ich gefühlsmäßig einigermaßen runter kam.
Und die Pilger, die ich nach und nach einholte, sahen mich nun allein ohne die Mädchen und sahen meine Trauer und meine Augen und wußten wohl Bescheid und ließen mich in Ruhe, damit ich meinen einsamen Gedanken nachgehen kann. Manchmal sagten sie auch etwas Nettes zu mir, was mich aufmuntern sol l te. Erst das deutsche Psychologenehepaar verwickelte mich nach und nach in ein längeres Fachgespräch und führte mich so auf andere Gedanken. Dafür war ich dankbar und suchte für uns einen schönen Platz für die Siesta, an dem bald auch das andere deutsche Ehepaar, Francois aus Quebec und einige andere Wegg e fährten Gefallen fanden, und wir alle hatten in dem Garten eines leerstehenden Ferienhauses eine gute Zeit. Es war, als ob uns dieses Haus, dieser Garten selbst gehörte und wir ganz legitim hier im trauten Kreis bei Speise und Trank den Nachmittag verbrachten. Alle wurden immer fröhlicher, sorgloser und selbsts i cherer. Auf dem Erinnerungsfoto, das man mir später schickte, kann man es gut sehen. Nur ich bin da noch etwas mau um die Mundwinkel. Später marschierte ich wieder allein weiter und landete am späten Nachmittag in einem originellen alten Turm, der im Garten einer privaten Herberge über der Brustwehr stand. Es gab nur eine kleine Handvoll Übernachtungsplätze hier, und die Atmosphäre war häuslich und intim. Wir Pilger - Deutsche, Franzosen, Kanadier - verabred e ten uns zum Abendessen in einem urigen Gartenrestaurant am Fluß Lot, wo wir uns bald wie heimisch fühlten, gut ins Gespräch kamen und entsprechend lange blieben. Ein Tag der Geselligkeit war es heute. Der Herr wollte mich wohl von meinem Kummer ablenken. Rotierende Sternenräder funkelten aus der Tiefe, als wir am Ufer entlang nach Hause gingen und auf dem Aussichtspunkt, der vom Rest der historischen Brücke über dem Fluß gebaut wurde, eine besinnliche Pa u se hielten. Es war eine helle, lauwarme Sommernacht und der Weg nach Hause viel zu kurz. Mein Turm ragte wachsam über der Gartenmauer wie in einem h i storischen Film. Unter den Büschen scharrten und unkten jagende Kleintiere oder vielleicht auch die Schergen des Kardinals Richelieu. Bald lag ich im Bett, sah dem Mondlicht zu und dachte an Elisabeth. Sie versprach, jeden Tag meiner Reise an mich zu denken und für mich zu beten. „Die ganze lange Zeit?“ fragte ich sie. Aber ich glaube, sie habe es tot ernst gemeint. Auch ich wollte sie stets im Herzen tragen, wohin ich ging, bis ans Ende der Welt und noch darüber hi n aus. Währenddessen saß der Herr mit gekreuzten Beinen am Himmel und spielte mit den Sternen Murmeln. Er nahm mich lächelnd an der Hand und führte mich in süßen Schlaf.
Figeac , km 1556
Der nächste Tag begann mit einem guten, reichhaltigen Frühstück, dann aber etwas lustlos. Ich trieb mich erst eine Weile in Livinhac herum, kaufte in G e schäften Brot, Käse und Wurst ein und überlegte gar, zum Friseur zu gehen. I r gendwie kam man hier nicht so richtig weg. Überall traf man herumstreunende Pilger, und es war einfach noch zu früh. Der Himmel war grau und die Temper a tur mäßig. Ich fühlte mich nicht besonders gut, vielleicht habe ich mich am Tag zuvor erkältet. Kein Wunder, wenn man immer verschwitzt in eine kalte, feuc h te Kirche beten geht. Bei dem Kälteschock muß man früher oder später krank we r den. Aber das dürfte ich nicht. Dafür war ich nicht gerüstet und die Herbe r gen auch nicht. Als Joanna vor ein paar Tagen nicht mehr weiter konnte, dürfte sie auch nicht im Bett bleiben. Man konnte nur weitergehen oder heimfahren. Eine andere Möglichkeit gab es für Pilger offenbar nicht. Zumindest schwitzen kon n te man im Marsch wie unter einer dicken De c ke. Bis einem das Herz stehen blieb oder die Lunge platzte. In deine Hände, Herr, lege ich mein Leben. Und ehrlich gesagt,
Weitere Kostenlose Bücher