Bis ans Ende der Welt (German Edition)
sollte ich hier, inmitten der blauen Schmetterlinge, den Duft der Lavendel in der hohlen Hand, tot umfallen, das Schlimmste wäre es nicht. Be s ser als auf weißem Kissen unter der künstlichen Lunge. Und so, frei von der Sorge um das leibliche Wohl, schlug ich mich durch, Schritt für Schritt, zwar mühsam, doch ohne dabei wesentlich langsamer zu werden. Es kam ei n fach nur kein Glück auf, wie es sonst der Fall wäre.
Zur Ablenkung sandte mir der Herr nun François aus Quebec. Mit Plattfüßen, kaputtem Rücken und wer weiß was mehr hatte er es nicht gerade leicht und ließ sich von mir mitziehen. Vom Beruf war er Immobilienmakler. Zu Hause in K a nada war er mit einer französischen Frau liiert und begleitete sie nach Europa zu ihren Eltern. Offenbar aber hatten sie Streit, und er landete allein bei den Pi l gern. Warum ausgerechnet auf dem Camino und nicht lieber irgendwo am Strand, erfuhr ich nicht, aber es war offensichtlich, er fühlte sich hier glücklich. Bis nach Cahors sollte er mir anstelle der Mädchen ein treuer, aufmerksamer und unterhaltsamer Begleiter sein. Er bewunderte meine Ausdauer und vermut e te wie die Nepal-Amerikaner einen militärischen Hintergrund. Doch am meisten schätzte er meine Fähigkeit, die schönsten Ecken ausfindig zu machen, um dort stundenlang zu faulenzen, ohne im geringsten in der Tagesleistung einzubüßen. Abgesehen von meiner augenblicklichen Erkältung hatten wir viel Spaß, spr a chen viel nicht nur miteinander, sondern einfach mit jedem, den wir auf dem Weg trafen, ob Pilger oder Einheimischer. Schließlich konnten wir als Team in fast allen gängigen abendländischen Sprachen kommunizieren und hatten abs o lut keine Hemmungen, völlig fremde Menschen mit ins Gespräch zu ziehen. Um François herum herrschte immer eine gute Stimmung, das spürte man irgendwie, und jeder, den wir ansprachen, machte gerne mit, öffnete sich, wurde froh und gut. François hörte sich geduldig meine Theorien über Literatur, Sprachen, Re i sen und den Verfall der abendländischen Zivilisation an, als ob sie neu und toll und spannend wären. Sonst reagieren die Menschen entweder gelangweilt oder gar gereizt darauf. „Schreibe es auf, Junge, schreibe alles auf,“ spornte er mich an. Dann machte er spontan halt, warf seine Schaummattratze ins Gras, rollte sie blitzschnell aus und streckte genüßlich seinen müden Rücken aus. Wie ein Hund im heißen Staub, um die Flöhe loszuwerden. Sein Interesse galt vor allem alten Häusern und Tieren. Die gab es hier freilich reichlich. Längere und kürzere Di s kurse mit allen möglichen Kötern und Rindviechern waren stets willkommen. Auch die Kommunikation mit Felsen, Ecksteinen und Bäumen galt nicht als u n fein. Aber man konnte mit François auch ganz gut schweigen, wenn man wollte. Vor allem, wenn man schneller ging. Dann brauchte er den Atem, um nicht a b gehängt zu werden. Aber er hielt sich in jeder Hinsicht tapfer.
So kamen wir leicht und unbeschwert nach Figeac . Der Pilgerführer listet da ganze fünf Herbergen. Doch als wir am Nachmittag ankamen, waren sie alle b e reits belegt. Unsere Reservierung ging irgendwo verschütt. Wir setzten unseren ganzen Charme ein, vergeblich. Ich fühlte mich wegen der Erkältung nicht wohl und hätte gern endlich ein Dach über dem Kopf. Es war hoffnungslos. Immerhin ließ man uns im Karmeliterkloster, wo wir ursprünglich unterzukommen hof f ten, etwas ausruhen, gab uns zu essen und zu trinken. In einem Seitenflügel sol l te es ein seit unbekannter Zeit verschlossenes Zimmer geben. Was tatsächlich hinter der Tür lag, wußte so richtig niemand. Niemand könne sie ja aufmachen, trotz des richtigen Schlüssels. Ich war mir sofort sicher, ein jedes Schloß kna c ken zu können, vor allem, wenn es zu dem einzigen noch freien Zimmer vor Ort war. Der Schlüssel wurde gebracht, ich arbeitete hart und motiviert. Der Schlü s sel brach im Schloß. Vielleicht hätte noch mehr Gewalt Erfolg gebracht, vie l leicht auch nicht. Es war eine sehr widerstandsfähige Tür. Lieber nahmen wir rasch Abschied. Da hieß es, in der Stadt befinde sich noch eine nicht fertige, nicht autorisierte Herberge in einem alten Haus. Eigentlich nur eine Bruchbude, aber da könnten wir vielleicht noch Glück haben. Da ging mir auf, daß der Herr mit mir wieder mal Schabernack trieb. Das machte er ja immer wieder. Meist wenn er mich auf Abwegen wähnte. Also suchte ich nicht erst die Herberge, so verlockend es uns schien, sondern
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