Bis ans Ende der Welt (German Edition)
wollte nicht kommen. Also machten wir uns es einfach auf der Te r rasse eines im Umbau befindlichen Hauses bequem. Das mittägliche Ambiente lieferte das kleine altertümliche Dorf um uns herum, die benötigte Wohnlichkeit die auf der Terrasse stehengelassenen Gartenmöbel. Wir trauten uns auch de s halb nicht weiterzugehen, damit es Joanna nicht zu weit hatte. Sie aber kam nur kurze Zeit nach uns, scheinbar guter Dinge. Wenn ich bedachte, wie schnell wir zuvor unterwegs waren, so war es keine schlechte Leistung von ihr. Sie taute wieder kurz auf, doch waren wir nach dem verworrenen gestrigen Tag alle nur noch müde. Die Mädchen rollten ihre Schlafsäcke aus, ich versuchte zu lesen und schlief dann im gekippten Sessel mit den Füßen auf dem Tisch und dem Buch in der Hand ein. Den braven Pilgern waren wir abermals entweder ein Ä r gernis oder ein schönes Fotomotiv. Doch wenn die Hunde in der Hitze an der Treppe dösen konnten, dürften wir es auch. Und dem Besitzer der Terrasse en t stand durch uns kein Schaden.
Nach der Siesta wiederholte sich alles. Joanna wollte allein gehen, sie werde uns schon einholen. Also zogen wir zwei wieder los. Die Temperatur mußte inzw i schen gute vierzig Grad erreicht haben. Alles glühte und flimmerte, man konnte im flüssigen Asphalt die Spuren lesen. Irgendwo auf einer einsamen Straße w a ren wir so fertig, daß wir uns einfach auf die Fahrbahn hockten und dort eine Viertelstunde ruhten. Links und rechts gab es steile Hänge, und wir hatten keine Kraft mehr, weder weiterzugehen noch herumzuklettern. Einige Autos fuhren in dieser Zeit vorbei und wichen geschickt aus. Wir ließen uns nicht im Gespräch stören. Keiner von uns klagte. Wir hatten nur zu warten, bis die Kraft zurüc k kehrt. Dann marschierten wir weiter. Wäre ich dieses Wegstück allein gegangen, ich hätte wie ein Hund gelitten und meine ganze Willenskraft aufbieten müssen. Aber mit Sissi war es leichter. Alles war leichter mit ihr, auch wenn ich viele der weiblichen Signale nicht verstand. Plötzlich, mitten in einem steilen Abhang tauchte unter uns ein Kirchturm auf, sofort danach ein paar kleine Häuser. Wir haben Conques erreicht, die schönste, romantischste, aufregendste Stadt der ganzen Pilgerschaft. Hier traf ich die vier Kardinaltugenden: Glaube, Hoffnung, Liebe, Demut. Auch das Tympanon der romanischen Klosterkirche stellt sie dar. Nie werde ich diesen Ort vergessen. Noch ein paar Treppen, noch ein paar schiefe Gehsteige, eine kleine Gasse wie vom Spitzweg mit Blumentöpfen n e ben der Hauseingänge, und wir standen hundert Meter tiefer unter dem Aufgang zur Pilgerherberge.
Der Führer bezeichnete Conques als die „Perle der Via Podiensis“. Es steht auch im Verzeichnis der Schönsten Dörfer Frankreichs. Und beide Bezeichnungen sind mehr als gerecht. Der Name kommt vom lateinischen Wort für Musche l schale, ein klarer Hinweis auf die Jakobsmuschel als Pilgerzeichen. Die Grü n dung geht auf eine Einsiedelei des Mönches Dadon , der sich hier Anfangs des neunten Jahrhunderts niederließ. Später wurde auf einem schmalen Plateau hoch über dem Fluß Dourdou ein Benediktinerkloster gebaut. Als Reliquie wurden im Jahre 866 die Gebeine der heiligen Fides von Agen , auf Französisch Sainte-Foy , von einem anderem Ort „heimlich überführt“. Das heißt dann wohl „entführt“. Hostienraub war damals nämlich eine weitverbreitete Tugend. Fides war die Tochter eines angesehenen Bürgers von Agen und ist am 6. Oktober des Jahres 303 im Alter von 12 Jahren auf einem glühenden Rost gemartert und enthauptet worden. Dies geschah auf Wunsch von Dacius, dem Prokonsul des römischen Aquitanien, nachdem sie sich geweigert hatte, heidnische Götter anzubeten. Sie war damit eine der ersten der vergleichsweise wenigen Märtyrer im römischen Gallien. Sie ist eine sympathische Heilige, die viele Wunder bewirkte, insbeso n dere an Blinden. Ein übergroßer goldener Kopf mit Edelsteinen, der sie darste l len soll, steht neben vielen anderen Goldschmiedarbeiten im Stadtmuseum. D a für aber hatte ich keine Zeit, das war nur etwas für Touristen. Von denen, wie von den Pilgern, lebte und lebt der Ort. Noch im dreizehnten Jahrhundert war Conques ein Muß für jeden mitteleuropäischen Jakobspilger. Das Kloster wurde aber im Jahre 1537 säkularisiert und verfiel. Es fehlte nicht viel, und auch die großartige Kirche wäre als baufällige Ruine abgerissen worden. Die Reliquien und andere Schätze wurden von den
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