Bis ans Ende der Welt (German Edition)
mit Feuer und Flamme ein Franzose. Außerdem wollte ich aus diesem Anlaß wieder einen Tag Auszeit nehmen. Ich war inzw i schen ziemlich abgewirtschaftet, jede Gelegenheit war mir recht.
Um die Mittagszeit pausierte ich in einem Stoppelfeld. Ich blieb hier ziemlich lange. Die riesigen Platanen, welche die Landstraße säumten, gaben dem Ort etwas Liebes, Romantisches, was mich zum Verweilen brachte. Bei uns hat man Baumalleen an den Straßen längst abgesägt. Besoffene Jugendliche, wenn sie aus der Disko nach Hause rasen, sollten nicht dagegen stoßen. Der Mensch, auch der besoffene, geht ja vor dem Baum. Der Baum hat ihm zu weichen! Vor dem Auto zur Seite springen kann er nicht, also wird er gefällt. Hier aber gab es entweder keine Diskotheken, oder die Jugend hatte andere Sitten, als besoffen Auto zu fahren. Jedenfalls blieben die großartigen Alleen, die einst unter Nap o leon gepflanzt wurden, um marschierenden Soldaten Schatten zu spenden, hier noch weitgehend erhalten. Die Bäume werden jedes Jahr bis auf den Stamm b e schnitten und treiben im Frühjahr schöne grüne Kronen aus. Diese Platanen hier hatten einen Rumpfdurchmesser von mindestens einem Meter. Sie waren her r lich, und ich legte meine Hände an die glatte, helle Rinde und horchte ein wenig in sie hinein. Es ging Kraft und Ruhe von ihnen aus. An einen Strohballen g e lehnt aß ich von der geschenkten Baguette und der letzten Fischdose, die ich noch im Rucksack finden konnte, und fühlte mich eigentlich recht miserabel. Das Feld gab seinen Ertrag, mehr war von ihm nicht zu erwarten, der Boden war hart und müde. Durch die Löcher in der Hose stachen Stoppeln in meinen Hi n tern. Meine Füße brannten, als ob sie im Flammen stünden. Ich überlegte, ob ich nicht Pater Gunther schreiben sollte, mir wieder die alten Bergschuhe zu schi c ken. Die Opfer, die uns der Herr abverlangt, sind eigentlich nie über unsere Kräfte, aber das hier ging allmählich zu weit. Ich fragte den Herrn, wie weit er es noch treiben möchte, aber er schwebte sorglos über dem kleinen Tal und fre u te sich an der lindgrünen Glut der Baumkronen. Es war nicht leicht, aufzustehen und weiterzugehen, aber die Stoppeln gaben den Ausschlag.
Moissac war nicht mehr weit. Der Camino lief nun an Autostraßen entlang, i m mer mehr Kreuzungen waren zu passieren, es gab immer mehr Anzeichen von Menschen. Ich mußte mich wieder erst an den Trubel gewöhnen, an Lärm, Staub und Hetze durch den Autoverkehr. Auch haben Stadtrandbezirke selten Reizvo l les zu bieten. Hier standen recht armselige niedrige Häuser, davor kaputte Ge h steige und löchrige Straßen. Menschen in freier Laufbahn waren nicht zu sehen. Der Führer berichtete von einem hohen Anteil Araber in der Stadt, was den e t was schäbigen Eindruck dieses Viertels erklären würde. Migranten können oder wollen keine zu hohen ästhetischen Ansprüche stellen. Ich wich bald auf eine etwas längere, doch schönere Route aus, die sich rundherum durch die grünen Hänge zum Stadtzentrum schlängelte, versang in Gedanken, und bis ich mich umsah, stand ich vor der Abteikirche Saint-Pierre im Zentrum der Stadt.
Das auffälligste Merkmal dieses romanischen Kirchenbaus, architektonisch e i nes der bedeutungsvollsten des 11. Jahrhunderts, ist sein Portal und das beei n druckende Tympanon mit der Darstellung der Apokalypse. Das bekam das Go t teshaus aber erst hundert Jahre später. Bis zur Säkularisierung stand hier eine berühmte Abtei, die dann als Lagerhaus verschwendet wurde. Sonst hätte man vielleicht alles eingerissen. Übriggeblieben ist immerhin noch ein Kreuzgang mit 76 Arkadenbogen, bestimmt einer der herrlichsten, die ich je sah. Jede Säule ist anders, eine anmutiger als die andere, und ich nahm mir Zeit, sie zu betrac h ten. Und um die Sache für mich erst richtig rund zu machen, stand in der Ei n friedung eine riesige Libanon-Zeder. Die imponierte mir fast noch mehr. Das Meiste meiner anderthalb Tage in Moissac drehte sich um diesen Ort, und auch der Herr schlug hier sein Lager auf und vergnügte sich am Spiel der goldgrünen Lichtstrahlen, die durch die riesige Baumkrone gefiltert, den Hof fluteten. Ich traf hier Lüdtke und Monika, das norddeutsche Ehepaar, die Nepal-Amerikaner und einige andere Bekannte vom Camino. Alle waren sie in feierlicher Sti m mung wegen der Erhabenheit dieses Ortes. So auch ich. Dieser Kreuzgang hatte es mir wirklich angetan. Die meiste Zeit saß ich da mit offenem Mund herum und ließ mich
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