Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Wehrma u ern aus dem 16. Jahrhundert ein Vorzeigestück des französischen Festungsbaus und eine wichtige Station auf dem französischen Jakobsweg. Ihre Geschichte, die tausend Jahre zurück reicht, ist von Kriegen und dem Streit zwischen Kath o liken und Hugenotten gekennzeichnet. Heute aber ist es nur eine kleine, roma n tische Provinzstadt von etwas mehr als tausend Einwohnern, die meist in der Landwirtschaft sowie im Tourismus arbeiten. Was nicht darüber täuschen sollte, daß dies ein architektonisch und historisch bedeutender Ort ist. Die Übernac h tung haben wir eingedenk der Erfahrungen von Vortag rechtzeitig organisiert. Es gab hier gleich vier offizielle Pilgerherbergen, die meisten jedoch waren w e gen eines Stadtfestes wieder ausgebucht, darunter auch das „Arsenal“, das seit dem Mittelalter den Pilgern als Unterkunft diente. Wir mußten uns mit einem privaten Haus zufrieden geben, das immerhin direkt im historischen Stadtze n trum lag. Aber hier war sowieso alles historisch. Wir waren die ersten vor Ort, doch schon kurze Zeit später waren alle alten Bekannten vom Camino auch da. Charlot, der Maulesel von Angélique, dürfte dann ganz offiziell im Parkgrün hausen. Es war nicht das erste Mal, das ich es sah, und es brachte mich jedesmal in Erstaunen, was man in der französischen Provinz alles für die Pilger so tat. Ein Esel im Stadtgrün, na und? Soll er sich da nur satt fressen. Charlot wußte aber um die Ehre und büxte nicht etwa aus, um den nicht vorhandenen Verkehr zu stören oder ähnlichen Unsinn zu treiben, sondern wanderte würdig durch den Park, als ob er extra für ihn gepflanzt worden wäre. Wegen des Festes befand sich die ganze Stadt im Ausnahmezustand. Ein Jahrmarkt mit diversen Scha u stellern wurde gerade unter unseren Fenstern aufgestellt. Überall baute man G e rätschaften und Karussell auf, ein gutgelauntes Fahrtenvolk füllte den Platz mit Arbeitslärm und Stimmengewirr. Mit ihm wurden wir bald bekannt. Für das gemeinsame Abendessen benötigten wir einen großen Topf, aber in der Herbe r ge gab es keine Töpfe. Trotz der ansonsten perfekt ausgestatteter Küche. So ve r hinderte man wohl unmäßiges Kochen und sorgte für Umsatz im Restaurant um die Ecke. Wir aber haben schon alles eingekauft, sind gemeinsam zum Geschäft gegangen, umständlich suchend und heftig über Wein, Vor- und Nachspeisen diskutierend, obwohl eigentlich wieder nur Spaghetti à la Thibaud auf dem Spe i seplan standen. Nun war niemand mehr willens, die angeschafften Vorräte au f zugeben oder eine Etappe weiter zu schleppen. Also wandten wir uns an die Komödianten, die uns sehr freundlich mit dem Nötigen aushalfen. Zu meiner Verwunderung nahm man mich zu den Verhandlungen mit, wohl eingedenk meines Rufes als frecher, doch charmanter Kerl. Dem ich auch sogleich gerecht wurde. Es gab davor nämlich einen Pilgerempfang, erst mit der Vesper in der Kirche, dann aber mit Wein und Kuchen im Pilgerzentrum. Der lokale Wein mundete vorzüglich, und wir langten auch kräftig zu. Am Ende stand eine nicht unerhebliche Anzahl leerer Flaschen in der Ecke, was die großzügigen Gastg e ber jedoch überhaupt nicht zu stören schien. Danach hätte ich gar dem Bischof den Nachttopf abquatschen können.
Es machte Spaß, dazu zu gehören und akzeptiert zu werden, locker und gottg e fällig seines Weges dahinzuziehen. Hier mußte man sich keine große Mühe g e ben, alles kam ganz natürlich. Niemand meckerte wie sonst üblich an mir he r um, außer vielleicht die anspruchsvolle Frauengruppe, die aber heute nicht da war, und der ich auch nie mehr begegnen sollte. Oder tat ich denen Unrecht, und sie fanden mich ganz toll? Doch eher nicht, ich hatte da das gewisse Kri b beln, das mich eigentlich nie im Stich ließ. Aber was soll’s, man gefällt halt nicht jedem, und ich wohl sehr häufig. Von hinten, von vorne und von der Seite betrachtet, hatte ich es hier gut. Erneut nahm ich mir vor, irgendwann nach der Pilgerreise für eine längere Zeit nach Frankreich zu gehen, um die Sprach- und Kulturkenntnisse zu verbessern. Ich ließ all die gallischen Büttel, Haderlumpen und Flic , die mir bei jeder Frankreichreise lästig wurden, einfach hinter mir, machte Frieden mit dem Land und seinen Einwohnern, und sie zahlten mir mit gleicher Münze zurück. Auch dem Herrn gefiel es, und er machte für mich alle Ecken rund, damit ich nichts zu klagen hatte. An diesem Tage zog er so ziemlich alle Register. Das Pilgerkollektiv beschloß
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