Bis ans Ende der Welt (German Edition)
besser. Der Wald war dicht, schattig und kühl. Nur Wegzeichen gab es keine, auch nicht, als ich schon eine ganze Weile unterwegs war. Andererseits gab es auch keine Kre u zungen, nur diesen einen, einsamen Weg. Nach zwei Stunden erreichte ich ein Dorf von wenigen weit zerstreuten Häusern. Alles wie tot. Auch hier gab es ke i nen, den man hätte fragen können. Denn inzwischen war ich doch ziemlich u n sicher geworden. Zum ersten Mal war der Herr nicht da, um mir wie sonst den Weg zu zeigen. Zwar trieb er sich auch so immer wieder irgendwo herum, wu ß te aber stets, wo ich bin, und ließ mich in meiner Dummheit nie im Stich. Wenn ich ihn brauchte, war er da. Heute aber war ich allein im Wald.
Es blieb nichts anderes übrig, als weiterzugehen. Der letzte Wegweiser lag zu weit zurück, um sich zu vergewissern. Umkehren wäre sinnlos, bis zum Spä t nachmittag hätte ich allenfalls wieder Navarrenx erreichen können. Es wäre ein verlorener Tag. Und irgendwo würde der Herr wieder auftauchen, dessen war ich mir sicher. Meist wartete er an einem Wegkreuz, einer Kirche, oder er holte mich unterwegs plötzlich ein wie ein Wirbelwind. Vielleicht war er mir sauer, daß ich heute früh nicht in die Kirche wollte, aber das konnte nicht so schlimm sein. Er ging auch nicht in jede mit, warum auch immer. Er ruhte sich draußen aus, bis ich mein Gebet verrichtete und wieder herauskam. Während ich mir noch den Kopf darüber zerbrach, sah ich zwei junge Burschen vor mir. Das Paar war gerade damit beschäftigt, zwei große, schwere, in Zeltbahn gewickelte Ha u fen über die Straße zu schaffen. Sie wären wohl lieber verschwunden, aber einer der beiden Haufen lag noch auf dem Weg und konnte nicht schnell genug we g gebracht werden. Nicht, daß es nicht auffiele. Also hockten sie sich hin, taten harmlos und warteten, bis ich komme. Ich nahm an, es waren Wilderer, Schmuggler oder baskische Terroristen. Sicherheitskräfte schloß ich eher aus. Ich hatte darin ein wenig hart verdiente Erfahrung. Die historische Grenze zw i schen Navarra und dem französischen Baskenland lag westlich von Navarrenx am Fluß Le Saison, nicht weit von wo immer ich mich befand. Das spanische Baskenland lag auch gleich um die Ecke. Hier konnte man gewiß alle möglichen Gestalten treffen. Heute wie gestern. Diese zwei Burschen machten jedenfalls den Eindruck, als ob sie sich schon eine längere Zeit, einige Tage gar, im Freien aufhielten. Soweit ich sehen konnte, trugen sie außer Jagdmesser keinerlei Wa f fen, aber unter dem Regenponcho ließe sich allerhand verstecken. Sie erwiderten den Gruß vorsichtig abwartend, ließen sich gar nach dem Weg ausfragen, wu ß ten aber nichts vom Camino. Sie schienen überhaupt keine Ahnung zu haben, wovon ich rede. Was bizarr war. Jeder hier kannte den Camino, zumindest von Hörensagen. Ich schloß daraus, daß es keine Einheimische waren. So oft ich den seltsamen Haufen auf der Straße betrachtete, wanderten ihre Augen aufmerksam mit. Ein zweiter solcher Haufen lag noch im Unterholz. Das war ein wenig zu viel Gewicht für nur zwei Leute. Sie konnten sich nicht sicher sein, ob ich es g e sehen habe. Als ich mal unvorsichtigerweise hinsah, tauschten sie rasch Blicke untereinander. Ich beschloß, hier lieber nicht zu tief zu bohren, zumal es mich nichts anging. Ich hatte ja meine eigene Mission. Unwillig zog ich weiter, acht e te aber auf den Rücken. Das hier war nicht der wohlbehütete Platz an der Sonne, sondern ein tiefer dunkler Wald mit zwei Parteien, die nicht unbedingt harm o nierten. Da war etwas Vorsicht nicht ganz verkehrt. Die zwei zögerten noch ein wenig, dann aber packten sie ihr schweres Zeug und verschwanden im Gebüsch. Keiner kam nach.
Es war wie verhext. Wohin führte nun dieser Weg überhaupt hin? Warum kam ich aus diesem Wald nicht endlich heraus? Ich muß schon zig Kilometer darin marschiert sein, und es sah nicht so aus, als ob er ein Ende hätte. Weiter und weiter zog die kleine, verschlissene Asphaltstraße unter den Bäumen dahin. Von den Ästen fielen immer wieder extra dicke Wassertropfen auf meinen Kopf. Wohl, um mich zu ärgern. Irgendwann kam ich dann doch ins Freie. Ganz u n mittelbar und plötzlich. Vor mir lag eine zerklüftete Berglandschaft, tiefe Täler und ein kleines Dorf auf dem steil abfallenden Bergrücken. Am Himmel kreisten schreiend große Raubvögel. Die aber sah man hier ständig. Sie hatten keine Menschenscheu und blieben auch ruhig hocken, wenn man in ein paar Meter
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