Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Herrn und hofft auf Hilfe und Beistand. So ist der Herr auch immer gegenwärtig. Mein nichtiger Wunsch tat niemanden Böses, und der Herr hat ihn erfüllt.
Argagnon, km 2053
Der nächste Tag kam, als die Sonne über den hohen Horizont hüpfte und alles blau erstrahlen ließ. Um diese Tageszeit war noch alles herrlich frisch, jungfrä u lich und anmutig, obwohl der Tag später noch sehr heiß werden sollte. Fast alle Franzosen waren inzwischen wieder unterwegs. Hektisch wie immer. Es fasz i nierte mich einfach, wie schnell sie nach dem Aufstehen aktiv werden konnten. Nur die Frauengruppe trödelte noch beim Frühstück herum. Man fühlte sich vom gestrigen Irrweg mürbe und machten die Organisation ihres Sklaven dafür verantwortlich. Doch er nahm alle Kritik an der Streckenplanung gelassen und gutgelaunt hin, und den Frauen blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Meckern war sinnlos, und der Weg wurde davon nicht kürzer. Sie pac k ten ihr Minigepäck – der Rest fuhr ja Auto – und verschwanden im Nu. Auch ich fühlte mich heute irgendwie mau, da mir wieder eine lange Strecke bevo r stand. Inzwischen wußte ich Tagesetappen von etwa dreißig Kilometer gut zu vertragen, doch alles, was darüber lag, fraß an der Substanz. In dieser selbste r haltenden Kalkulation wurde ich geradezu ein Meister und wog jeden Schritt genau ab. Der Weg war das Ziel, doch das Gelübde setzte auch ein Ziel. Santi a go. Dahin galt es zu schaffen. Ich überlegte also, daß ich bald wieder einen Tag Pause einlegen sollte, wußte aber, daß es erst in Saint-Jean-Pied-de-Port vor der Überquerung der Pyrenäen möglich und sinnvoll sein würde. Soweit hatte ich durchzuhalten, Müdigkeit hin, Müdigkeit her. Ich tröstete mich also mit dem schönen Morgen und ließ alle saueren Sorgen hinter mir, sobald ich aus dem Tor des Gîte hinaustrat. Im Laden neben der Tankstelle kaufte ich eine Baguette, Käse und ein paar Tomaten. Das gelang mir nicht jeden Tag, da man häufig gar kein Geschäft fand. Damit befriedet, riskierte ich noch einen Besuch in dem seltsamen Schaukasten an der Kirche, das den Pilgern zum Gebet vorbehalten war. Es war eng darin und nicht sehr sauber, daher roch die Luft trotz offener Tür sauer und stickig. Fast wäre ich wieder umgekehrt. Der Herr ging natürlich nicht mit in die Stinkbude und machte es sich lieber in der schönen gotischen Kirche bequem. Für ihn gab es ja keine Schlösser. Ich bat ihn, er möge dem Pfarrer Einsicht schenken, aber er winkte ab. Nicht wirklich wichtig. Also pries ich ihn vor dem Glasfenster für alles Gute, das er mir, uns täglich zukommen läßt, und bat für diejenige, die ich lieb hatte, die mich auf dem Lebensweg und dem Camino begleiteten, und auch für solche, die mich unterwegs um eine Fü r bitte anhielten, und ließ auch die nicht leer ausgehen, von denen ich annahm, daß sie mich nicht so sehr mögen, weil ich mir nicht vorwerfen wollte, mich durch äußere Umstände, Egoismus und Bequemlichkeit leiten zu lassen. Ich fand, daß es ein guter Tagesbeginn war, und trat nun vollends versöhnt wieder an die frische Luft. Bald würde ich diesen schläfrigen, kleinen Ort für immer verlassen, mit einer knusprigen, wohlriechenden Baguette quer unter dem Ruc k sackriemen und mit dem Herrn im Schlepp. Und der Tag wartete auf mich, mit allem, was er an Schönem zu bieten hatte, und ich konnte es gar nicht so richtig abwarten, denn alles war resch und aufregend daran.
Es fügte sich gut, daß ich bald auf einen schönen See stieß, der mich an das S e geln auf dem Starnberger See erinnerte, wenn man am Morgen nach dem Au f wachen den Kopf aus der Luke streckt, über das blaue Wasser zu den hohen Bergen aufschaut, und die Welt so neu und lieb und von dem Schweißfuß des Sünders noch ganz unbefleckt wähnt, wie sie der Herr einst schuf. Die Sonne zerstreute die letzten Nebelschleier über dem Wasser, und der aufsteigende Dampf machte die Konturen weich und zart. Leider konnte ich hier nicht einfach sitzenbleiben und mich satt sehen. Der Pilger und der Fluß bleiben stets in B e wegung. Die kühle Morgenzeit gab es unbedingt zu nutzen. Heiter und motiviert schritt ich aus und genoß die Schöpfung. Nie hatte ich genug davon. Vor Freude hätte ich schreien können, und manchmal tat ich es. Die Natur und die Liebe nehmen eine besondere Stellung im Dasein ein. Sie erfüllen ganz und au s schließlich, machen reich, enttäuschen nie. Was wäre der Mensch denn ohne sie, was
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