Bis ans Ende der Welt (German Edition)
würden wir heute in einer anderen Welt leben.
Ich war froh, als ich weiterging, auf Philippe den Klaviervorspieler zu stoßen, so daß ich wieder auf andere Gedanken kam. Er war ein guter Läufer, und ich hatte alle Beine zu tun, um mit ihm Schritt zu halten. Vor allem, wenn ich hie und da noch eine reife Brombeere erwischen wollte. Es war schon spät am Nachmittag, als es uns gelang, eine Übernachtung zu organisieren. Es war in Argagnon, nur etwa einen Kilometer vor dem regulären nächsten Etappenziel, das Maslacq hi e ße. Aber dort war auch schon alles voll oder vorbestellt. Also blieb uns nicht a n deres übrig, obwohl ich mir nicht viel dem Ort am Gave de Pau versprach. Ich argwöhnte wegen der Eisen- und Autobahn zu viel Zivilisation, Hektik und Mangel an Kontemplation. Aber was sind schon meine Erwartungen, bloße Vorurteile. In Wirklichkeit war es ein netter, schläfriger Kaff. Ein ziemlicher Umweg führte zum Gîte, den ich ächzend, stöhnend und auch ein wenig schim p fend absolvierte. Es ging immer tiefer und steiler in den Wald hinein, und ich befürchtete schon, uns verirrt zu haben. Doch am Ende war es wohl eine der b e sten Herbergen meiner französischen Wanderschaft. Es gab nur zwei Zimmer mit ein paar Wandnischen zum Schlafen, das Ambiente eines gemütlichen Landhauses und ein vorzügliches Essen. Philippe, der telefonisch nicht reservi e ren wollte, mußte dafür mit einem Zigeunerwagen am Waldrand vorlieb ne h men. Das war ihm wohl doch nicht ganz recht, und er sollte in seiner Skepsis noch bestätigt werden. Der irische Herbergsvater war ein echtes Original und wahrscheinlich, der Tradition seines Vaterlandes getreu, auch ein ziemlicher Aufschneider. Nach dem gemütlichen Abendessen erzählte er uns jede Menge Geschichten, die uns staunen und lachen ließen. Darunter auch eine von der fr e chen Wildsau, die immer wieder die Hüttenschläfer belästige. Philippe hatte dann eine unruhige Nacht, als er jemanden um seine wacklige Hütte schleichen hörte. Oder zu hören vermeinte, was für den Angsthasen so ziemlich gleich kommt. Ich allerdings fürchtete mich in der netten Wandkoje vor keiner Wildsau kein bißchen. Und der fulminante Ire spielte uns nach dem Abendessen auf dem Banjo vor, und behauptete frech, damit früher seinen Lebensunterhalt verdient zu haben. Sein Spiel aber klang nach allem Möglichen, nur nicht nach Können, teilweise auch schlichtweg falsch. Und die angebliche Eigenkomposition kannte ich bereits aus einem recht bekannten amerikanischen Film. Dessen Namen ve r gaß ich zwar, nicht aber diese Banjoeinlage. Eine schnöde volkstümliche Zie h harmonika wäre da wohl passender gewesen. Das wäre France profonde pur. Nun aber ziert ein origineller Stempel mit Banjo und Jakobsmuschel mein Pi l gerbuch, der mich immer auf diesen Abend erinnern wird. Alle wundern sich über diesen originellen Stempel, und ich erzähle jedem die Geschichte von Phi l ippe, dem Banjo und der Wildsau.
Navarrenx, km 2075
Es war immer wieder überraschend, wie schnell sich die Stimmung ändern konnte. Nach dem netten, anregenden Abend kam ein hektischer Aufbruch in einen kalten, regnerischen Morgen, mit einem vom Saubesuch recht verstim m ten und verschlafenen Philippe. Der gute Mann schien sich wirklich ums Leben gesorgt und die ganze Nacht kein Auge geschlossen zu haben. Ich fürchte, es nicht ernst genug genommen zu haben, da ich mich trotz gebührender Vorsicht eigentlich vor gar nichts fürchtete und fest auf den Schutz des Herren verlies. Eine Wildsau hatte mir einfach aus der Hand zu fressen, und ich ging auch in dieser Nacht völlig unbekümmert nach draußen, um wie üblich „Raum zu a t men“. In der Tat raschelte etwas Schweres im Unterholz, es hätte auch das U n tier sein können. Aber was soll’s . Ist der Herr mit uns, wer ist dann gegen uns? [49] Mich störte eher, daß von der Waldwiese unter den hohen Tannen nicht viel Himmel zu sehen war.
Der Weg führte nun ereignislos über kleine Straßen und durch scheinbar verla s sene Dörfer. Philippe erholte sich schon bald von seinem Sausschreck. Ich habe das Thema nicht weiter vertieft und unterließ, obwohl sehr ungern, alle Hinwe i se auf die Bête du Gévaudan . Das schadete bestimmt nicht, auch nicht, daß das Wetter immer besser wurde. Als wir früh am Nachmittag in Navarrenx ank a men, strahlte die Sonne wieder in voller Pracht, und alles war nahezu perfekt. Die Stadt am Fuß der Pyrenäen ist wegen der vollständig erhaltenen
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