Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Hause mit dem Hänger a b zuholen. So faul und gefräßig sich der Vierbeiner auch sonst gab, und hier hatte er es in dieser Hinsicht wirklich nicht schlecht, er wäre offensichtlich lieber mit seiner Herrin bis zum bitteren Ende nach Saint-Jean-Pied-de-Port mitgelaufen. Das aber ist eine Touristenstadt, Pilger dürfen als Statisten hinein, aber Esel und andere Vierbeiner sind nicht willkommen.
Immerhin war das ein Zeichen, und ich schritt mit Elan aus. Das Mittagessen nahm ich in einem grauen, windigen Baskendorf vor der Kirche ein und unte r hielt mich dabei mit einem pausierenden Fräulein aus dem Gemeindeamt. Sein Französisch war nicht viel besser als das meinige. Das nette Mädchen war die einzige Person, die ich da traf oder sah, obwohl ich die Mittagspause ziemlich in die Länge zog. Ich war inzwischen ziemlich fertig und mogelte ein wenig bei den Pausen. Seit dem Morgen lief ich entweder auf steinigen, glitschigen Pfaden oder kleinen, löchrigen Asphaltstraßen. Der harte Untergrund tat den Füßen nicht gut. Je nach Grundbeschaffenheit wechselte ich mehrmals zwischen Ber g schuhen und Sandalen, ohne wesentliche Erleichterung zu verspüren. Für diese lange Etappe war ich einfach nicht mehr fit genug. Alles tat mir weh, und ich stampfte wie betäubt dahin. Am Stein von Gibraltar , der seit 1964 den Ort ma r kiert, wo die Jakobswege von Le Puy -en-Velay, von Vézelay und von Paris z u sammenstoßen, ging ich achtlos vorbei, ebenso wie an dem historischen Ort Saint-Palais. Dort wäre ein Museum über die Geschichte des Königreichs N a varra und der drei Jakobswege gewesen, das hätte mich sicher interessiert. Aber laut Führer sei beides nur ein Schnickschnack für Touristen, was ich sofort als Ausrede nützte. Immerhin hätte es sieben Kilometer Umweg bedeutet. Mir reichte schon der steile, steinige Prozessionsweg hinauf zur Chapelle de Soya r za . Der allein machte mich so fertig, daß ich die schöne Aussicht auf die Pyr e näen kaum noch genießen konnte. Die Berge hüllten sich in Wolken ein. R e genwolken! Ich riskierte lieber keine Unterbrechung. So schnell wäre ich nicht wieder aufgestanden. Erst in Ostabat-Asme nutzte ich den Kirchenbesuch zur neuen Pause. Es tat mir leid, den vorhandenen Attraktionen nicht mehr Respekt und Aufmerksamkeit zollen zu können. Ich hatte einfach keine Kraft dazu. Wo ich sonst einfach dahin marschierte, den Weg als Ziel sehend, ohne viel Streß, irgendwo wirklich ankommen zu müssen, hier hatte ich nur das Ziel im Kopf. Ohne Willen war diese letzte französische Etappe nicht zu schaffen.
Und den hatte ich, ich wollte unbedingt noch heute Saint-Jean erreichen. In Ostabat hätte ich über Nacht bleiben können, aber ich hatte das Laufen einfach satt. Ich haßte geradezu den Gedanken, am nächsten Tag wieder aufstehen und weitergehen zu müssen. Und ich hatte noch einen ganzen halben Tag übrig. Also stand ich auf und ging weiter. Zweitausend Kilometer von zu Hause weg bleibt einem nichts anderes übrig als weiterzugehen. Unterwegs aß ich die Brombee r sträucher kahl. Aus Trotz und wegen der Vitamine. Knapp vor dem Ziel, in Saint-Jean-le-Vieux, auf Baskisch heißt es verwegen Donazaharre, konnte ich wieder einmal nicht weiter. Ich suchte Rat in der Kirche und schlief dort auf der Bank ein. Die Kirche war ein eigenartiger gedrungener, düsterer Bau, umringt von alten Gräbern, so daß man kaum durchgehen konnte. Keine Spur von der Großartigkeit der französischen Gotteshäuser. Hoffentlich kamen keine fro m men Touristen vorbei und ärgerten sich über den Frevel. Doch Touristen gab es an diesem trüben Tag hier nur wenige, ich konnte also ungestört schlafen, wä h rend der Herr wieder einmal lieber draußen blieb. Der Ort, obwohl direkt am Fuß des Hochgebirges, liegt nur etwa zweihundert Meter über dem Meeresspi e gel. Der Anstieg bis zum Col de Roncevaux beträgt von da etwas mehr als ach t hundert Höhenmeter. Bis ins 13. Jahrhundert habe laut Cicerone hier der Au s gangpunkt für die Überquerung der Pyrenäen gelegen, nicht wie heute das Saint-Jean-Pied-de-Port. Mir aber gefiel dieser Ort nicht besonders, und ich war in s geheim froh weiterziehen zu können. Wohl auch der Herr, da ich ihn draußen nicht mehr fand, als ich endlich hinaus kam. Vermutlich hatte er es satt, mich so verzagt, verbissen und trotzig zu sehen. Mit seinem Willen macht sich der Mensch ja alles madig. Dabei ist jeder Tag unwiederbringlich vorbei und nicht mehr nachzuholen. Immer wieder
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