Bis ans Ende der Welt (German Edition)
ich aber lieber an, weil es um den Tisch seltsam still wurde, und ich unsicher, da ich ja niemanden nerven oder gar beleidigen wollte und eigentlich auch gleich wi e der hätte weinen können, wenn ich schon darüber sprach. Also hielt ich an, und eine ganze Weile sagte niemand was, bis ein Mann, dessen Namen ich vergaß, meinte, er hätte nie gedacht, je so etwas von einem Deutschen zu hören, das werde ihm zu Hause sowieso keiner glauben wollen und er selbst müsse noch darüber nachdenken. Auch er hatte feuchte Augen, was mir ein wenig peinlich war. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet und hätte es vielleicht nicht erzählen sollen. Immer wieder ließ ich mich hinreißen, konnte es einfach nicht lassen, Geschichten zu erzählen, die, einmal freigelassen, eine seltsame, unbeabsichtigte Wirkung auf die Zuhörer hatten. Gute oder schlechte, nie konnte man sich de s sen sicher sein. Meine stets wohlwollende Mutter warnte immer davor, anderen persönliche Dinge zu erzählen. Wer aber hört denn auf die Mutter? Am Morgen kamen wir abermals an dem großen runden Tisch zusammen, um munter zu frühstücken und noch ein wenig zu plaudern. Freilich nicht über den Krieg. Draußen schien die Sonne, und alle Strapazen des Vortags waren wie vergessen. Nur zu, Freunde, laßt den Tag beginnen, komme, was kommen mag!
Saint-Jean-Pied-de-Port, km 2137
Der Herr wartete schon am Gartentor, als ich dann endlich ins Freie trat. Ich folgte ihm auf dem schmalen Pfad durch die Kuhwiesen ins Tal, sah über die struppigen Hügel zum Horizont, und mir war wohl. Raum überall, das Land kühl und frisch unter der noch blassen Sonne, Ruhe und Frieden. Das war der Weg, den ich mir ausgesucht habe, frei und leicht ging ich ihn, denn der Herr war mit mir. Es war der beste Weg von denen, die zur Wahl standen. Dabei dachte ich an Maria und Marta, die der Herr einst besuchte. Wie Marta sich w e gen des hohen Gastes in Arbeit und Unbill stürzte, während Maria den ang e nehmen Part übernahm und sich zu ihm setzte und zuhörte. Und wie sie der Herr in Schutz nahm, als ihr die gestreßte, verschwitzte Schwester Vorwürfe machte, sie möge doch lieber im Haushalt helfen: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere g e wählt, das soll ihr nicht genommen werden. [52] Es war nicht das Leiden, die Mü h sal, welche unbedingt Gottes Segen trugen, man konnte auch das Bessere wä h len, wenn das Bessere gerecht war. Und wo im Leben häufig das Bessere der Feind des Guten ist, hier war das Bessere das Gute und somit gerecht. Ich habe gut gewählt, und es sollte mir nicht genommen werden.
Bald erreichte ich das Städtchen Aroue , wo ich gestern eigentlich hätte übe r nachten sollen. Inzwischen ist das anfangs vielversprechende Wetter einem schwülen Grau gewichen. Alles hier schien öde und verlassen, zumindest, was ich davon zu sehen bekam, und das war nicht viel. Die kommunale Herberge aber lag direkt an der Straße, ein Pilger trieb sich davor herum, und den fragte ich nach meinen französischen Freunden. Aber er wußte nichts von Angéliques Maulesel und dem lustigen Trupp, der ihn begleitete. Klar, er hätte sich sonst der Bande angeschlossen und wäre hier nicht so lustlos herumgehangen. Ich ließ ihn zurück mit seinen Sorgen und setzte den Weg zügig fort. Es gab einiges einz u holen, noch war ich nicht aus dem Rennen.
Etwa um elf Uhr kam ich in ein Nest, das einsam unter einem steilen Hang lag und kaum mehr war, als ein paar Gärten und ein Landgasthaus. Es roch nach g u tem Essen. Das schien mir um diese Tageszeit besonders verlockend, doch ich hatte noch Brotreste vom Frühstück, die leckeren Pasteten und ein Ziel. Es gab also keinerlei Entschuldigung, hier einzukehren, aber aus Spaß tat ich so, als ob ich eine freie Wahl hätte und ein gemütliches Mittagessen hier in Erwägung zi e hen würde. Da sah ich im Garten einen Maulesel, der mich stark an Charlot e r innerte, doch eigentlich es nicht sein konnte, da er und seine Begleiter längst weit weg sein mußten. Aber es war Charlot, keine Frage. Er, ein hochnäsiger Gourmand, der mich meist ignorierte, weil ich ihn nicht fütterte, meldete sich nun mit lautem, freudigem Wiehern, lief am Zaun hin und her und schlug sogar ein- oder zweimal mit den Hinterläufen aus. Es war unzweideutig Charlot, der mich erkannte und auf sich aufmerksam machte. Später erfuhr ich, daß ihn A n gélique hier zurückließ, um ihn dann später von zu
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