Bis ans Ende der Welt (German Edition)
cheln und Schulterzucken, die ich an ihm so mochte, über die ewig schmerze n den Fußsohlen und die miese Kondition eines Büromenschen. Dabei aber wirkte er fröhlich und entspannt, wie ich wohl selten wirke, auch wenn ich fröhlich und entspannt bin.
Ich verließ beide mit dem Versprechen, für sie, wenn möglich, in der Herberge von Navarrete die Übernachtung zu sichern, damit sie sich nicht so sehr beeilen müssen. Das ging häufig ganz einfach, indem man den jeweiligen Namen ins Gästebuch schrieb, womit das eine Bett als belegt galt. Die Verwalter der klein e ren kommunalen Herbergen kamen oft erst am Abend, um abzukassieren und die Pilgerbücher zu stempeln. Sie rissen sich kein Bein aus. Privatvermieter und religiös motivierte Ausländer kontrollierten freilich penibler, damit ihnen keiner durch die Lappen geht, desgleichen auch in den großen Herbergen, die einfach mehr an Organisation nötig hatten und eine Rezeption führten. Eine Rezeption ist ein Amt, und wer dort sein Dienst tut, müht sich redlich. So ist der Mensch.
Diese Herberge entpuppte sich dann als eine, wo Bürokratie, Zucht und Or d nung herrschten und Mogeln nicht möglich war. Kundschaft gab’s genug. Schon als ich ankam, wurde die Tür von Dutzenden Pilgern belagert, die verstaubt und verschwitzt vorm Eingang saßen und von sich hin stanken. Meist Deutsche, auch aus der Ex-DDR, aber immer noch einige Franzosen und Junzo, der alte Japaner, der mir schon in Roncesvalles auffiel. Als der Herr dieser Wanzenbude dann erschien und seines Ehrenamtes zu walten begann, war es ihm anzusehen, daß er sich der Wohltat uns gegenüber auch voll bewußt ist. Da konnte ich für die zwei nichts mehr tun, und das war gut so, weil sie hier nie ankamen. Ich aber in Ermangelung anderer Beschäftigung stöberte in dem Städtchen herum und fand ein kleines Hotel, das für fünfundzwanzig Euro Zimmer und Mahlzeit a n bot. Noch skeptisch ließ ich mir das Zimmer zeigen. Es war sauber, neu eing e richtet, ein altes, doch sehr sauberes Bad lag auf dem Gang gleich daneben. Fünf Euro mehr, und ich hätte mein eigenes, aber es waren sowieso kaum andere G ä ste da. Früher war es ein sogenanntes besseres Haus, heute ein Platz, wo kleine Vertreter für die Nacht absteigen. Das Abendessen bestand aus vier Gängen und einer Flasche Wein, der preisgerecht nicht aus Rioja, sondern aus Kastilien kam. Die kommunale Wanzenbude hätte ein Drittel dessen gekostet, es gab dort eine Dusche und zwei Toiletten für alle, und im Bett konnte man den Atem des Nachbarn im Nacken spüren. Als ich meinen Namen unter Offenbarung der Wahrheit wieder von der Liste streichen ließ, betrachtete mich der Verwalter sehr streng und eindringlich und wollte wohl was dazu sagen, aber andere drän g ten schon nach. So kam ich um eine sinnlose Diskussion herum. Seit ich den spanischen Boden betrat, war ich ziemlich angespannt, und hätte mich g e wiß zu Äußerungen hinreisen lassen, die verletzend wären. Als ich draußen e i ner älteren Deutschen gegenüber die freie Meinung dazu äußerte, putzte sie mich schroff runter, Menschen wie sie seien für so eine Unterkunft, die ich als Wanzenbude bezeichnen möchte, mehr als dankbar. Amen. Sie war wie üblich etwa fünfzig Jahre alt, im wesentlichen nett und kommunikativ und sah nicht unvernünftig aus. Durchaus als jemand, der vielleicht gerne ohne Wanzenbisse aufwachen und ohne Hast seine Körperpflege betreiben würde. Doch das wäre wohl gegen den Geist des Camino. Ich sah nur wenige dieser Gerechten bei der Messe in der Kirche wieder. Ein paar Franzosen, Junzo und auch vier junge Burschen aus Ostdeutschland, die keinen Platz mehr in der Herberge fanden und nun, mangels Kraft zum Weitermarsch, unter dem feisten Hintern des steinernen Matamoros schliefen, der sie treu vor dem aufziehenden Nachtgewitter schützte. Sein überlebensgroßes Standbild gehört nämlich zu den wenigen Attraktionen dieses Städtchens.
Ich hatte den meisten Nachmittag und den Abend nur für mich, konnte stunde n lang in der Badewanne liegen, den geschundenen Körper pflegen, die Ruhe g e nießen und sogar fernsehen, wenn ich wollte. Dabei stellte ich fest, daß das sp a nische Fernsehen genauso dumm ist wie in den andern Ländern auch, und meine Überzeugung, daß Fernsehen eine grobe Verschwendung der Lebenszeit und, da allgegenwärtig, ein wichtiges Instrument der Gehirnwäsche ist, hat sich bei mir noch mehr verfestigt. Fernsehen ist eine Sucht, die kaum einem
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