Bis ans Ende der Welt (German Edition)
anzusprechen, kam jedoch nicht gegen die mannshohen Lautsprecher an. Ich machte mehrere Anläufe, als Antwort sah ich jedoch nur die Mundbew e gung, ohne auch nur ein Wort davon zu hören. Der sinnlose Krach machte mich erst nervös, dann wütend. Das Pilgersein ist ja ansonsten fast lautlos. So schrie ich aus Leibeskräften dem Typen ins Ohr, er möge doch die Musik leiser stellen. Er verstand, doch winkte er ab. Also ging ich wieder und erfuhr nie das G e heimnis der tschechischen Herberge in Boadilla.
Die nächste Herberge empfing mich zur Abwechslung mit den Klängen von Mozart. Sie gehörte, glaube ich, einem Engländer. Es war ein aufwendig ren o vierter kleiner Bauernhof hinter einer niedrigen Steinmauer, hatte nun einen schönen grünen Innenhof mit Schwimmbecken, an dem sich junge Frauen die Sonne auf den Pelz brennen ließen. Wie im Urlaub, mit spitzen Schreien über dem Strand. Es war eine deutliche Qualitätssteigerung im Vergleich zu dem b e kifften Tschechen, wovon auch die gute Belegung zeugte. Also ließ auch ich mich hinreißen und checkte ein. Es gab sogar eine eiskalte Limonade und einen Sessel zur Begrüßung. Genau das, was sich ein Wanderer an einem heißen Tag nur wünschen kann. Doch innen sah es genauso wie überall sonst aus. Wo früher der Schafstall stand, gab es nun zwei niedrige Gemeinschaftsräume mit Stoc k betten für etwa sechzig Schläfer und nur ganze vier Duschen. Die waren im A u genblick leer. Ich spülte Staub und Schweiß hinunter, wusch die Wäsche und verzog mich wieder nach außen, um mich dort bei einer Flasche Wein zu reg e nerieren. Ich nippte an meinem Glas und rechnete auf: Ein richtiges, sattes Grün wie zu Hause. Im Hintergrund ein Plastikschwimmbecken im tiefen Blau. R u binrotes Feuerwerk im Weinglas. Der blasse spanische Himmel irgendwie gelb, vermutlich vor Neid auf das blaue Schwimmbecken. Moderne Kunstskulpturen aus braunrostigem Eisen in unregelmäßigen Abständen auf dem Rasen und in den Ecken, die wohltuend mit den rotbraunen Steinen und grauen Holzbalken der Fassade harmonierten. Davor schwarze, rote und weiße Bikinis und die R o saklänge von Mozart. Heute erquickte mich der Herr mit Farben.
Die Hälfte des spanischen Camino lag hinter mir. Mehr oder weniger. Der Weg und die Leute inspirierten wenig. Die Landschaft war eintönig, ihre Geschichte blutig, das Klima widerlich, die Kirchen zu, die Einheimischen verschlossen, die Pilger meist Proleten wie aus einer Fernsehshow. Mehrheitlich Deutsche. K a men mit Flugzeug, fuhren mit Bus und Taxi, füllten die Bars und wußten alles. Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Frührentner, Studenten. Erlebnissuchende. Machten sich hier einen billigen Urlaub. Alles war schön, super, no problem , geil! Jeder möge doch auf seine Fasson glücklich werden. Doch die Toleranz war nur aufgesetzt. Unsicherheit, Mangel an Werten und Phantasie, Hörigkeit und Unkenntnis anderer Kulturen staken dahinter. Es zehrte an meinen Kräften und meiner Demut. Der Herr war nicht bei mir, zog mit mir nicht mit in die Schlacht. Um acht Uhr ging ich schlafen. Um Mitternacht kehrte die deutsch-slowenische Frauengruppe von nebenan angeheitert aus der tschechischen Kne i pe zurück. Die Damen knipsten das große Licht an, weckten alle und redeten sich kichernd gemütlich ins Schlaf. Vorher jedoch noch alles für den morgigen Tag vorbereiten. Großes Tütenrascheln. Muß ja sein, wenn man früh losgeht. Man ist ja unter sich. Sie fielen mir schon am Abendtisch auf, als sie sich laut und gewichtig über Autos, Jobs und Frauenkram ausließen. Das Leben der T o ten. Sie waren nicht darauf erpicht, ermahnt zu werden. Ich solle keine miesen Schwingen verbreiten, meinten sie keck, das gehöre sich nicht für den Pilger. Ja, der Geist des Camino, der war hier allen heilig.
Doch auch aus einem anderen Grund ruhte ich in dieser Nacht nicht gut. Ve r mutlich durch die leckere Limonade, die man uns bei der Ankunft servierte, ho l te ich mir eine Erkältung. Damit befand ich mich in guter Gesellschaft. An so einer eiskalten Limonade, die er nach einer hitzigen Landpartie hinunterstürzte, starb in Burgos im Jahre 1506 Philipp der Schöne, der Gatte Johannas von K a st i lien. Damals weinten alle Mädchen, und Johanna wurde wahnsinnig.
Carrión de los Condes , km 2434
Ich verließ am Morgen wie üblich spät das Haus. Es ging mir mies, vermutlich hatte ich Fieber. Vor dem Eingang lungerte eine junge Engländerin, die sich gleich mit mir auf den Weg
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