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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Dürretod war noch viel schlimmer. Manchmal schien die Ebene den Blicken als glühende Tonscherbe, dann wieder zu Asche zerfallen. Abends fiel der riesenhaft vergrößerte Sonneball ins blutige Dunstbett des Horizontes, so daß man die Hi t ze wabern fühlte. Halluzinationen? Jeder und jedes beugte ergeben den Kopf und schwieg. [69]
    Bis Mittag schaffte ich etwa zwanzig Kilometer, immer die Sonne im Rücken und den langen Schatten vor der Nase. Die Mittagspause fiel kurz aus. Sie st e hend oder im Dreck sitzend zu verbringen, hatte nämlich keinen besonderen E r holungswert. Außer daß man dabei den Rucksack los war. Meine Schultern li e fen schon blau an, juckten und schmerzten. Was hätte ich für eine Sitzbank g e geben, hatte aber statt dessen im staubigen Gestrüpp zu hocken. Weit und breit kein Mensch. Wo blieben die vielen Pilger, die in Burgos mit mir die Nacht tei l ten? Eine junge, großgliedrige Blonde mit einem älteren, glatzköpfigen Mann marschierten vorbei. Deutsche aus dem Ruhrpott oder so. Sie, noch locker und motiviert, er mühsam stampfend, den Kopf und den Stiernacken tiefrot angela u fen. Sah aus, als ob er gleich platzen oder zumindest tot umfallen sollte. Ein g e wichtiger Kerl mit echter Goldbrille und einem Designtelefon, einen riesigen Rucksack schleppend, der nicht hierher paßte. Offenbar waren sie ein Paar, wenn auch ein seltsames. Sie gingen grußlos vorbei, hatten genug mit sich zu tun. Junzo, der Samurai, näherte sich im Schneckentempo, nickte nur matt zum Gruße und zog stumm weiter. Erst vor einigen Tagen feierte Junzo den fünfun d sechzigsten Geburtstag, war sozusagen der älteste Pilger in der Welle. Er ma r schierte zu Fuß den ganzen Weg von Italien, wo er die Sprache der Renaissance lernte. Allein das fand jedermann originell. Ein alter, verschrumpfter Asiat mit Renaissancefibel. Er führte ein schönes, illustriertes Tagebuch auf Italienisch. Das mußte er ständig herumzeigen. Doch wie alle Japaner hier auf dem Camino, machte Junzo nicht viel Aufsehen um sich. Sprach man ihn an, reagierte er freundlich und rege, ansonsten parkte er irgendwo in der Ecke oder streunte he r um. Mir kam der Roboterhund Aibo in den Sinn. Er war mein geheimer Favorit, ich spielte gar mit dem Gedanken, mir einen zu kaufen, um dann, stets zu geg e bener Stunde, mit ihm zu Hause auf dem Kirchplatz zu flanieren. Aber der Preis dieses Vergnügens war mir dann doch zu hoch. Junzo war ähnlich pflegeleicht. Ich versuchte, mir beide zusammen vorzustellen. Doch wolle es mir nicht geli n gen. Statt dessen kam mir immer das seltsame Paar von vorhin in den Sinn. So machte ich mich lieber neu auf den Weg, bevor ich noch auf mehr Blödsinn g e kommen war. Aber es hob mein Selbstwertgefühl ein wenig, daß ich schon nach kurzem Weitermarsch Junzo, genauso fix und fertig wie ich zuvor, unter einem verstaubten Dornbusch hocken sah. Dann holte ich das ungleiche Paar von vo r hin ein, und kam zu der Überzeugung, es müsse mir eigentlich super gut gehen, nur hätte ich es noch nicht gemerkt. Was waren da meine brandheißen Blasen und schmerzenden Schultern im Vergleich zum Leiden dieses gewichtigen Mannes, den die Liebe zu einer Walküre auf den Camino trieb. Wirf dich fort, Mensch, harre nicht! Locker und leicht zog ich um vier Uhr bei sengender Hitze in Boadilla ein.
    Viele der Herbergen auf dem Camino Francés werden von Ausländern betri e ben. Holländer, Engländer, Deutsche, häufig auch Rückeinwanderer aus dem p o litisch und wirtschaftlich unsicher gewordenen Südamerika. Insbesondere für die letzteren sicherte so eine Pilgerherberge mit wenig Kapital ein bescheidenes Einkommen dort, wo es sonst kaum Arbeitsplätze gab. Besser als die kommun a len, waren die privaten Herbergen allerweil. Vor allem sauber waren sie. In Boadilla gab es gleich vier Privathäuser, seltsamerweise alle mit viel Ambiente. Das erste auf dem Weg gehörte einem Tschechen. Zumindest verkündete ein handgemaltes Schild vor dem Eingang in einem entarteten Tschechisch: To je Alberque poutníka. Der Rest bestand aus diversen dümmlichen Sprüchen in e i nem seltsamen Kauderwelsch aus allen möglichen Sprachen. Meine Neugier war geweckt, ich betrat den leeren Hof, wo hinter der vorgelagerten Biertheke ein nicht mehr ganz junger Hippie hockte und im Rhythmus psychedelischer Klä n ge, die aus einer mächtigen Stereoanlage kamen, hin und her schwankte. Er war so gut wie hinüber, und die Ecke roch nach gutem Pot. Ich versuchte, den Mann

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