Bis ans Ende der Welt (German Edition)
während sie ein solch derbes Begehren vehement von sich wies. Sie war zu Recht sauer, wenn er an ihrer Liebe zweifelte. Hätte nicht ständig sein fesches Mobiltelefon geklingelt und die Auseinadersetzung unterbrochen, so hätte sie noch säuerlicher werden können. So aber schleppte sie sich müde fort, und ich überlegte, ob der Apostel Paulus doch nicht Recht hätte, als er den Männern Ehelosigkeit antrug. Bist du an eine Frau gebunden, suche dich nicht zu lösen; bist du ohne Frau, dann s u che keine. Heiratest du aber, so sündigst du nicht; und heiratet eine Jungfrau, sündigt auch sie nicht. Freilich werden solche Leute irdischen Nöten nicht en t gehen; ich aber möchte sie euch ersparen. [70] Gut gebrüllt, Löwe. Doch was hilft’s, wenn der Mann ohne die Frau und die Frau ohne den Mann nicht vol l ständig sind. Interessanterweise unterließ es Paulus, den Frauen solche abstine n ten Ratschläge anzutragen.
Das Essen war gut und gar nicht teuer. Eigentlich nicht viel teuerer, als wenn man im Laden Wurst und Käse kaufen würde. Doch für das Mineralwasser und den Kaffe zahlte ich fast die Hälfte extra dazu. So stimmte der Preis wieder. Das hatte hier eine Tradition. Das Schicksal der zweitausend Einheimischen hing mehr oder weniger von der Börse der Pilger ab, welche sich als eine verläßliche Einnahmenquelle erwiesen. Umgekehrt galt ihnen das im fruchtbaren Tal des Carrión gelegene Städtchen als unversiegbare Vorratskammer. Villa rica en trigo, vino, carne y en todo tipo de producción próspera , lobte es Aymerich P i caud in Codex Calixtinus , dem ultimativen Pilgerbuch des Mittelalters. Was im 12. Jahrhundert galt, gilt bis heute. Anderorts aber herrschte der Niedergang. Auch da könnte man mehr aus den Pilgern rausholen, doch hätte man dafür mehr zu tun. Zum Beispiel auf die Siesta zu verzichten oder ein vernünftiges Warensortiment anzubieten. Heute kamen wir durch eine Stadt, in der fast die Hälfte der Häuser zum Verkauf anstand. Viele davon wieder nur notdürftig von innen gestützte Fassaden. Es gab keine Geschäfte, keinen Arzt, kein Gemeind e grün, keinen, der etwas arbeiten würde. Eigentlich gar keinen sichtbaren Me n schen, um genau zu sein. Dann aber, am Ortsausgang, lief ein Bauer vom Acker rüber und überschüttete mich und Pep mit schönen saftigen Tomaten und Gu r ken, so daß wir am Ende beschämt abwinken mußten, weil wir sie gar nicht hä t ten tragen können. Ja, eigentlich von einem gewiß nicht reichen Mann auch nicht hätten annehmen dürfen. Und nun saß ich da, selbst reich, fesch und sa u ber, an einem frisch gedeckten Tisch, das Tischtuch gestärkt und blütenweiß, das Geschirr ohne einen einzigen Fingerabdruck, und ließ mir den Wein schmecken. Der Herr hatte mich lieb, führte mich an die grüne Weide.
Terradillos de los Templarios , km 2461
Der nächste Tag begann mit einer achtzehn Kilometer langen Strecke auf gr o ßen, runden Flußkieseln. Für Blasen und Gelenkschmerzen wie geschaffen. Den Idioten, der das veranlaßte, sollte man barfuß darüber jagen. Aber der Gedanke bot keinen Trost. Statt dessen kam mir, wie in der letzten Zeit immer öfter, der Bibelspruch, den ich in Le Puy mit auf den Weg bekam: Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, daß ich nicht in Schande gerate. [71] Damals fand ich ihn mehr als merkwürdig, rätselhaft, ja gar empörend. Ich hatte eine gute, lustige Zeit mit Sissi, Joanna und den anderen französischen Pilgern, aß, trank und schlief gut, hatte keine wesentlichen Beschwerden. Und der Herr ging ja mit, ließ mich seine Gegenwart immer spüren, wies mir den Weg, e r staunte mich den ganzen Tag mit allem Denkbaren, mit Goldrand am Himmel, ja sogar in der Nacht, wenn er die Sterne wie Räder rotieren ließ. Warum sollte man da an den unbequemen Propheten denken, den man bespuckte, dem man den Bart ausriß, der vor Kummer und Verbissenheit keinerlei Freude gelten ließ? War es nicht eher so, daß jemand in der Kathedrale von Le Puy völlig pla n los einen doofen Bibelspruch aussuchte und dem armen Pilger aufs Auge drückte, damit er etwas mehr hatte, um sich Sorgen zu machen? Nun aber sta n den die Fronten klar, und der Spruch wurde greifbar. Niemand mochte mich hier, die Fortbewegung wurde zum Kampf, nichts machte Freude, Schmerzen überall. Und der Herr suchte sich einen Würdigeren, um mit ihm zu marschieren und sein Herz
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