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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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zu erfreuen. Nun war ich allein auf einem staubigen Pfad voller Widrigkeiten unterwegs. Und dessen Ende war keineswegs nahe. Der Weg zog sich schier endlos hin, so wie die dürre kastilische Hochebene scheinbar nicht weniger wurde. Aufgeben ging nicht. Nicht, wenn man dem Herrn, dem Al l mächtigen, das Wort gab. Deshalb hatte auch ich, wie der Prophet Jesaja zuvor, selbst zum Kiesel zu werden, in der Gewißheit, nicht zuschanden zu werden. Hart wie die Kiesel unter meinen Füßen.
    Es hieß, daß man nichts mehr zu beklagen hatte, egal, was kam. Doch war es nicht etwa eine asketische Gefühllosigkeit sich selbst gegenüber, vielmehr eine höhere geistige Konzentration. Achtsam auf das Wesentliche. So zum Beispiel galt es, den Körper zu pflegen, warten und reparieren. Dies aber geschah völlig emotionslos, als ob dieser Körper nichts anderes wäre als ein Motor, ein Träger, der mich zum Ziel trug. In der Mittagspause packte ich die Blase aus, mit der ich seit Tagen unterwegs war, und die immer größer, tiefer, blutiger wurde, bis das rohe Fleisch darunter zu sehen war. Ohne Aufregung, ohne Leid. Dabei war es mir völlig klar, sollte sich diese Wunde infizieren, könnte es schlimmste Folgen haben. Ich klagte nicht über die Wunde, ich klagte nicht über die Schmerzen, die sie mir beim Gehen verursachte, ich beschränkte mich nur darauf, die Entzü n dung einzugrenzen. Gelänge es mir nicht, wäre ich aus dem Rennen. Ich reinigte die Stelle, schnitt Hautfetzen ab, sprühte Desinfektion darauf, die ich einst noch in Frankreich von Philippe geschenkt bekam. Es brannte angenehm. Solange es brannte, war es nicht tot – deshalb angenehm. Wie ein Lepra-Kranker, ein Hiob im Aschehaufen, saß ich im Dreck neben dem Weg, hielt den Fuß der bestialisch brennenden Sonne entgegen, damit die UV-Strahlen die Keime töten, und dachte buchstäblich an nichts anderes, als daß ich hier im Staub hocke, den Fuß der Sonne entgegenstrecke, und dies einigermaßen harmonisch und behutsam zu g e schehen hat, sonst bekäme ich wieder einen der lästigen Krämpfe entweder in der Hand, was nicht so schlimm wäre, oder im Bein, was ärger wäre, oder am Hals und Schädel, was am unangenehmsten wäre, weil ich dann aufstehen und weitergehen müßte, um ihn loszuwerden, womit diese Heilpause vorzeitig bee n det wäre. Die Temperatur betrug achtundvierzig Grad, und es war so hell, daß man ohne Sonnenbrille kaum etwas anderes als nur reizlose, blasse Schatten s e hen konnte. Doch was sagt es dem Kiesel? Nichts.
    Vermutlich war es die bisher schwierigste Etappe der ganzen Pilgerschaft, und ich hatte keine Lust, sie noch unnötig in die Länge zu ziehen. Auch machte das anstrengende Hocken im Dreck keinen besonderen Spaß. Bald war ich wieder unterwegs auf dem völlig menschenleeren Weg. Alle Piefkes waren wieder ei n mal „kurz weg“, und ich hatte die Landschaft nur mit den schießgeilen Jägern und ihren Hunden zu teilen. Wie Ameisen liefen sie durch die flimmernde Glut der leeren Felder und ballerten fröhlich aufgeregt in die Buschinseln hinein, wo immer die Hunde fremdes Leben anzeigten. Ich bewunderte die Hunde. Norm a lerweise hatten sie mit den Pilgern viel Abwechslung, bellten und knurrten sie an. Manche taten wild und böse, manche harmlos schläfrig. Zumindest hatten sie ein aufmerksames Auge auf die Passanten, was dem faulen Hundedasein doch noch etwas Würze verlieh. Doch diese hier ließen sich auf keiner Weise von i h rer Aufgabe ablenken, würdigten die Pilger keines Blickes, auch wenn sie in nur wenigen Metern Entfernung vorbeilaufen mußten. Für die Jagd wurden sie g e boren, die Jagd war ihnen alles. In größter Begeisterung und Anspannung liefen sie wild durcheinander, bellten wie verrückt und zögerten nicht, sich vor die Flinte zu werfen, um auch dem doofsten Schützen die richtige Schußrichtung zu weisen. Das eine oder andere Schrottkorn nahmen sie dabei ruhig in Kauf. Das alles war wie im Kino und absolut irre.
    Wenn mir mein Dasein als Schildkröte gar zu lästig oder zu langweilig wurde, versetzte ich mich in Gedanken an einen besseren Ort, wo es kühler war, und ich in der Regel nur angenehme Dinge zu tun hatte. Gerne saß ich auf einer Bank vor der Alm, trank kühle Milch aus einem großen Bierglas, hörte die Kuhglo c ken schlagen, die Wiesel pfeifen und die Vögel rufen und sah dabei ins Tal und auf die schneebedeckten Drei- und Viertausender dahinter. Grün, weiß und Blau in reinster Form. Oder ich lag in

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