Bis ans Ende der Welt (German Edition)
psychiatrischen Krankenhaus von León war. Es hätte mich interessieren sollen! Denn nach einer Weile schlenderte ein eher unscheinbarer Mensch von da auf mich zu, baute sich vor mir breitbeinig auf und verlangte Zweieuroach t zig für den Bus. Genau Zweieuroachtzig und basta. Jetzt! Ich versuchte ihn zu ignorieren, aber er wurde schnell fordernder und irgendwie bedrohlicher. Was mir überhaupt nicht gefiel, er rückte dabei immer näher an mich heran, während ich von der Mauer nicht abhauen konnte. Die Andeutung eines seitlichen Au s falls meinerseits blockierte er rasch und gekonnt. Mehrere Menschen gingen vorbei, sahen meine Lage - und gingen weiter. Vor einem Irrenhaus war es wohl keine verkehrte Wahl, half mir aber nicht aus der Patsche. Der Typ klebte wie eine Laus an mir und verlangte schimpfend und spuckend seine Zweieuroachtzig für den Bus, komme was wolle. Es sah nicht gut aus für mich, auch nicht, wenn ich ihm das Geld geben würde. Ganz offensichtlich hatte er seine fünf Zwetsc h gen nicht beisammen und neigte zur Gewalt. Nun ging mir auf, ich hätte mich nicht unbedingt vor den Eingang zum Irrenhaus hinsetzen müssen, ich hätte es ein Stück weiter bis zum nächsten Park auch noch geschafft. Aber es war natü r lich zu spät für reuige Ansichten, vielmehr begann ich mich zu sorgen, ob der Kerl nicht etwa ein Messer bei sich haben könnte. Offensichtlich hatte er kein Beil, auch keine Kettensäge, das konnte man sehen, aber er hätte ein Messer h a ben können. Aber auch ohne Messer war er immer noch eine Gefahr. Ich habe ihn einfach zu nahe kommen lassen, um mich eventuell noch effektiv wehren zu können. Und hätte er eins? Der letzte Irre, den ich so nahe kommen ließ, hatte ein Messer. Es war in Böhmen, und der Mann fühlte sich herausgefordert, weil ich – wohl zu Unrecht - einen dicken Mercedes mit deutschem Kennzeichen fuhr. Erst versperrte er mir die Parklücke, in die ich einfahren wollte, dann stel l te er sich vor den Wagen, stampfte, spuckte und schrie: „Fuck, fuck, German!“ Er sei ein freier amerikanischer Bürger. Das war er dann doch nicht, sondern nur eine arme, irregeleitete tschechische Seele. Er verfolgte mich im Galopp über den ganzen Parkplatz, um eine Entschuldigung von mir zu erpressen, weil ich ihn „geistig minderbemittelt“ nannte. Ich sprach zu laut bei geöffnetem Fenster zu meiner Mutter, die daneben saß. Die Entschuldigung bekam er auch, sonst hätte er mich wohl abgestochen. Umgekehrt steht einem Pilger vor dem Herren nicht so einfach zu, einem anderen Menschen, irre oder nicht, Schaden zuzuf ü gen. Vor allem, wenn man ihn vorher zu nahe kommen ließ. Also mimte ich nun den toten Käfer, vermied, ihn direkt anzusehen, tat rein gar nichts und harrte besserer Zeiten. Er drängte, schimpfte und spuckte, rollte die Augen. Er verla n ge seine Zweieuroachtzig für den Bus, das sei sein Recht, das lasse er sich nicht nehmen!
Es kam gerade ein Señor vorbei, erfaßte die Lage mit einem Blick und wollte sich wie die anderen vor ihm im sicheren Abstand vorbeischleichen. Groß und schlang, vornehm angezogen, rasiert und frisiert, sah er nicht wie ein Patient aus, sondern vielmehr als eine Respektperson. Obwohl man sich in dieser Hi n sicht nie sicher sein kann. Einmal hatte ich eine Stelle, die mich zwang, rege l mäßig süddeutsche Psychiatrieanstalten zu besuchen. Ich verwechselte dabei immer die Ärzte mit den Patienten und umgekehrt. Der Unterschied mag auch nicht zu groß sein, daß man ihn unbedingt merken müßte. Aber hier gab es nichts zu verlieren, und nach der zweiten, schon recht verzweifelt klingenden Bitte, kehrte der Seňor abrupt um, faßte entschlossen den Spazierstock mit dem silbernen Knauf, daß die Handknöchel weiß wurden, trat auf den Irren zu und bat ihn streng, mich nicht länger zu belästigen. Er sähe doch, daß ich mit ihm nichts zu tun haben möchte. Noch nie war ich in Spanien mit jemanden so gle i cher Meinung. Ich hätte seine Worte in Stein meißeln können. Umsonst arg u mentierte der Geisteskranke, ihm stünden die Fahrkosten unbedingt zu, das sei sein Recht und so weiter. Am Ende rückte er ab, ohne mich abzuschlachten, und ich meinerseits wartete nicht, ob er vielleicht seine Meinung ändern und noch zurückkehren würde, sondern bedankte mich bei dem Señor und schritt rasch davon. Der Herr habe ihn selig.
Der Rest des Weges durch die Stadt bis zum Alberque der Benediktinerinnen war einfach schön und gut. Nichts tat mir mehr
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