Bis ans Ende der Welt (German Edition)
ich es wollte oder nicht, in Calzadilla de los Hermanillos an, einem armen Bauerndorf mitten von nirgen d wo. Ich zählte eine Kirche, eine Bar und ein kleines Lebensmittelgeschäft, doch alle Straßen waren asphaltiert und alle Menschen freundlich und geduldig. Die kommunale Herberge aus roten Ziegeln war noch nicht alt, doch bereits stark heruntergewirtschaftet und nicht sehr sauber, was an der alten Frau liegen moc h te, die sie versorgte. Die Übernachtung kostete nur eine Spende, aber wegen des Schmutzes waren die Pilger meist nicht zu spendabel, und die arme Frau knurrte leise über uns Geizhälse. Immerhin fanden sich an diesem Nachmittag etwa ein Dutzend Pilger in diesem Kaff ein. Die meisten, gingen zum Essen in die Bar, doch ich, Junzo und Tanja, eine junge Dänin, kochten zusammen Spaghetti. Öl, Wein, Oliven, Eier, Brot und Käse gab es in der jeweils kleinsten passenden Menge, wie wir sie gerade benötigten, in dem dunklen Verlies des Dorfhändlers zu kaufen, was Abenteuer an sich genug war. Wir sind trotz Hitze und Müdi g keit mehrere Male zu Dritt hin marschiert, um das eine oder andere, was wir z u vor vergaßen, zu holen, und bereuten es kein einziges Mal. Traf man auf der Straße niemanden außer ein paar struppigen Hunden, in dem Laden ging es hoch her. Und die runzligen, knorrigen Alten – junge Menschen gab es hier wohl ke i ne - hatten stets viel zu erzählen, ächzen, rufen und lachen, so daß jeder Einkauf zu einem wahren Erlebnis wurde, so als würde man um die halbe Welt oder z u mindest zum Gericht in die nächste Kreisstadt reisen. Und während dessen zap f te der Händler vier Fingerhut Olivenöl aus einem Fünfzigliterfaß in eine Plasti k tüte ab, ohne darin etwas Ungehöriges zu finden, freundlich und rege tausend wichtige Details erzählend, und bedankte sich höflich für den zwanzig Cent Umsatz. Bald tat mir nichts mehr weh, sogar das Fieber verschwand, und ich verbrachte einen langen Abend mit Tanja und Junzo und allen, die während de s sen noch zu uns stießen und uns Gesellschaft leisten wollten. Es war vielleicht der beste Abend auf dem Camino Francés , auch wenn ich es damals noch nicht wußte. In Abwesenheit der peniblen Piefkes dürfte jeder von uns er selbst sein, und unterschiedlich in jeder Hinsicht waren wir tatsächlich so etwas wie eine echte Gemeinschaft, geeint im Geiste des Camino. Junzo verlor etwas von der Reserviertheit und sprach von seinen italienischen Renaissancestudien und dem Tagebuch, seinem Lieblingsthema. Ich habe aber nicht herausgefunden, warum er den Camino ging, außer daß es irgendwie zu ihm paßte. Tanja erzählte, sie sei schon einmal hier gewesen. Es war mit einer Freundin, die sie sehr mochte, und die im April mit dem Fahrrad auf dem Weg zu ihr an der Ecke von einem Laster überfahren wurde. Dies war ihr Abschied.
Mansilla de las Mulas, km 2514
Am Morgen kochte ich Kaffee und lud alle zum Frühstück ein, da vom Vo r abend noch genug Brot und Kuchen übrig blieben. Aber diejenigen, die in der Bar zu Abend aßen, lehnten verächtlich ab, sie seien dort zum Frühstück eing e laden, und der Besitzer sei ein so reizender Mensch. Den könne man nicht en t täuschen, er rechne mit ihnen Punkt sieben Uhr. Sei es darum, es hätte vermu t lich doch nicht für alle gereicht, dachte ich, und frühstückte ausgiebig mit Junzo und Tanja. Ich war dankbar, diesen zwei interessanten Menschen begegnet zu sein. Um so mehr, als sich mein Zustand immer mehr verschlechterte. Die Erkä l tung war zurück, eigentlich stärker denn je, die Schürfwunde am Fuß sah dank intensiver Pflege zwar nicht schlechter, doch auch nicht besser aus. Ich b e schloß in León , bis dorthin waren es nur noch zwei Tage Fußmarsch, einen Tag Auszeit zu nehmen. Es gab dort ein Frauenkloster der Benediktinerinnen als Herberge, dort wollte ich bleiben. Sollte man mich, wie in Spanien halt üblich, nach der ersten Nacht rausschmeißen, wollte ich ins Hotel ziehen. In diesem Z u stand konnte ich nicht weiter. Irgendwie mußte ich die Wunde dazu bringen, sich zu schließen. Und den letzten freien Tag hatte ich in Frankreich – eine Ewigkeit zurück. Es war an der Zeit, eine Pause einzulegen. Mit diesem En t schluß startete ich in den kalten Morgen. Trotz Nachmittagshitze waren die Morgen nun empfindlich kalt. Manchmal konnte man schon den Atem sehen. Und die Kälte hielt neuerdings ziemlich lange an. Es waren hier immer noch über achthundert Höhenmeter. Die am Tage angesammelte
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