Bis ans Ende der Welt (German Edition)
weh, alle Leute waren fröhlich und nett, und der Autoverkehr machte mich nicht nervös. Was so eine Bege g nung der dritten Art denn alles ausmacht. Dennoch war es mein wichtigstes Ziel, mindestens für die nächsten zwei Tage den Aufenthalt in León sicherzustellen. Der Empfang im Innenhof des Klosters Carbajalas war zwar recht herzlich, so früh am Tag waren kaum noch andere Gäste da, und man hatte Zeit für mich, aber von einem Zweitageverbleib wollte man auch hier zunächst nichts hören. Ich mußte wie Christus dem ungläubigen Thomas anbieten, man möge doch die Hand in meine Wunde legen. Erst dann glaubte man. Die Wahrheit lag bei mir, und schwachen Naturen hätte es beim Anblick des rohen, schon violetten Fle i sches schließlich auch durchaus übel werden können. Der Rest war mir gleich. Ich hatte diesmal nichts an den riesigen Schlafsälen, den zu wenigen Duschen und Toiletten und dem ganzen verflossenen Charme der spanischen Reconquista auszusetzen. Es gab zwar noch eine kommunale Herberge mit allen möglichen Errungenschaften wie Waschmaschinen und so weiter. Als ich mich an einem Pilgerinfostand nach dem Weg erkundigte, versuchte man, mich in die städtische Einrichtung zu lotsen und mir Prospekte zum hiesigen Nachtleben anzudrehen. Da sei es viel komfortabler als bei den Nonnen, man könne die ganze Nacht in der Stadt feiern, es werde nicht wie im Kloster um einundzwanzig Uhr die Pfo r te zugesperrt. Für die Pilgertouristen war es vielleicht was, aber ich wollte unb e dingt in das Kloster der Benediktinerinnen. Vesper und Messe waren mir wic h tiger als una discoteca al lado .
Nun bezog ich - geduscht, umgezogen, frisch und rosig - eine Sonnenecke des Innenhofes, versorgte meine Wunden und ließ sie an der frischen Luft trocknen. Ich las und schrieb und machte neue Bekanntschaften. Das war nicht schwierig. Die Leute kamen vorbei, besahen meinen Fuß und fragten, wann ich nach Hause zu fliegen gedenke. So kam man ins Gespräch. Von den alten Bekannten waren nicht viele da. Die meisten zogen die Stadtunterkunft vor oder suchten sich ein billiges Hotel, wenn sie vorhatten, länger in der Stadt zu bleiben. Doch Junzo war da, und mit dem sympathischen Trio aus Bordeaux - zwei Frauen und ein gutgelaunter Kerl als Helfer und Beschützer - verabredete ich mich zum Aben d essen in der Altstadt. Rasch füllte sich der Hof mit Neuankömmlingen. Es war ein Wochenende und immer mehr Menschen, die hier in den Camino einsteigen wollten, kamen vom Flughafen an. Die Mehrheit davon Deutsche aus Nor d rhein-Westfalen und anderen „preußischen“ Provinzen, aber auch alle mögl i chen Nationen sonst. Auch ganz komische Typen waren darunter. Im Aufen t haltsraum sprachen mich zwei Franzosen an, die mich vermutlich wegen meiner Lektüre für einen Landsmann hielten. Sie sahen ziemlich suspekt aus, kräftige Kerle mit groben Gesichtern. Es hätte wirklich nicht bedürft, daß einer von i h nen obszöne Papstwitze erzählt und eine verschlossene Glasvitrine mit recht wertlosen Souvenirs zu knacken versucht. Während ich vor dem Abgang noch das Glas spülte , zauberte der zweite flink ein paar Latexhandschuhe aus der T a sche, streifte sie sorgsam über und prüfte an der Tischkante die Schärfe eines Messers, das er sich aus der Küchenschublade holte. Ausgerechnet hier und he u te tat sich ein Loch auf, aus dem all die biblischen Plagen hinauskrochen und bei mir neue Heimat suchten.
Und nicht nur bei mir. Als ich von der Besichtigung der Kathedrale zurückkeh r te, traf ich einen völlig aufgelösten Junzo. Jemand habe ihm das Tagebuch g e stohlen, berichtete er. Die zwei Hefte seien in einem Beutel auf seinem Bett g e legen, sonst sei auch nichts drin gewesen, was irgendwie wertvoll wäre. Nun e r innerte ich mich, daß an der Pforte ein Zettel vor Dieben warnte. Jeder möge auf seine Wertsachen achten, das Haus übernehme keine Haftung. Aber was waren da schon „Wertsachen“. Für Junzo war das Tagebuch sein Wertvollstes, und ausgerechnet das hat man ihm geklaut. Es wäre möglich gewesen, daß der Dieb irgendwo in der Umgebung des Hauses die für ihn wertlosen Sachen in eine A b falltonne schmiß. Also bot ich mich an, die umliegenden Abfallbehälter durc h suchen zu helfen. Wir taten es, stöberten zum Abscheu der Passanten im Abfall, fanden jedoch nichts. Was die Möglichkeit immer wahrscheinlicher machte, daß der Dieb aus den eigenen Reihen kam. Junzos Tagebuch war ja in allen Munde und hatte viele
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