Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Bewunderer. Und offenbar einen zu viel. Niemand wollte etwas gesehen haben, und den meisten war es auch ziemlich gleich. Was ging sie Ju n zo an, er hätte auf seine Sachen besser aufpassen und nichts herumliegen lassen sollen. Das war die häufigste Meinung unter den Piefkes. Für sie war es wieder einmal eine gute Gelegenheit, sich cool und überlegen zeigen zu können. Mich überraschte es freilich nicht. Bestenfalls konnte es meine Vorurteile bestätigen, falls es denn welche waren. Religiöse Motive hatten auch hier die wenigsten. Das stand fest. Von den hundertfünfzig Gästen in der Pilgerherberge kam nur etwa ein Dutzend in die Klosterkapelle zu der gesungenen Vesper mit anschli e ßender Messe. Die Schwestern sangen wie Engel, obwohl von dem einst so mächtigen Kloster mittlerweile nur etwa fünfundzwanzig, meist alte Nonnen ü b rig blieben. Überall gehen heute die Klöster am Zeitgeist zugrunde. Erst zu der allseits populären Pilgersegnung füllte sich die Kapelle. Aberglaube statt Chr i stenglaube. Über religiöse Themen wie noch in Frankreich wurde hier in Span i en kaum gesprochen. Religion, Gelübde, Suche nach Gott waren meist nicht der Grund, warum sich diese Massen auf den Weg machten. Ein netter junger Deu t scher sagte es offen: Für ihn sei es die billigste Art zu reisen, sonst müßte er zu Hause hocken. Damit stand er nicht allein. Dennoch hofften die meisten, etwas zu finden oder loszuwerden, was ihnen im Leben wichtig war. So etwas hat wohl ein jeder Mensch, auch dann, wenn er nicht religiös ist. Das eigentliche Problem lag vielleicht darin, daß man um Mittag in Köln am Rhein einen Flieger bestieg und um vier Uhr auf dem mitgebrachten schicken Mountainbike in die Herberge von León einfuhr. Oder daß man den Tag im Café verschwenden und dann das Taxi nehmen konnte. Oder daß es so viele ausgerechnet von dieser Sorte gab. Ein billiger, origineller Urlaub mit etwas mehr oder weniger Tiefgang war der Camino Francés . Jeder nach seinem Geschmack, war einer der üblichen Sprüche. Doch gestern in Mansilla traf ich einen Jungen aus Frankreich, für den der Camino kein Billigurlaub war, sondern ein Bittgang, um einmal - hoffentlich bald - eine gute, treue Frau fürs Leben zu finden. Dabei sah er aus, als ob er an jedem Finger zehn Mädels hätte haben können, und nach den feuchtglänzenden Blicken der anwesenden Jungfern zu urteilen, lag ich mit dieser Vermutung b e stimmt nicht falsch. Aber er ließ sich davon nicht betören, es sollte ja die nur richtige sein. Ich war sehr beeindruckt von dem nahezu biblischen Glauben, und plötzlich war auch der Herr wieder da, sehr stolz auf diesen seinen Jünger. So sehr, daß ich mich genötigt fühlte, ihm in seinem Namen zu versichern, er werde bestimmt sein Ziel erreichen. Es klingt absurd, aber ich konnte nicht anders.
León ist vermutlich die bedeutendste kulturhistorische Stadt Spaniens. Gegrü n det wurde es im Jahre 68 als römische Garnison, fiel nach dem Ende des Röm i schen Reiches im fünften Jahrhundert an die Westgoten und im Jahre 712 an die Mauren. Nach der Rückeroberung im Jahre 856 lag alles in Trümmern, desgle i chen nach dem apokalyptischen Besuch des Almazur , der Geisel der Christe n heit, im Jahre 988. Als Hauptstadt des Königreichs Léon war es seit 914 fast zweihundert Jahre die wichtigste Bastion der Christenheit auf der Iberischen Halbinsel, Quelle der Reconquista . Zwischendurch schlug man sich mit den k a stilischen Herrschern und die meiste Zeit auch untereinander die Köpfe ein. Überall Blut, Symbole und Kulturdenkmäler. Und seit dem frühen Mittelalter auch Pilger nach Santiago de Compostella . Die Stadt verdankt ihnen viel von ihrem Wohlstand und ihrer Bedeutung. Vielleicht deshalb sind die Leonesen zu Fremden freundlicher und aufgeschlossener als die Kastilier. Das kleine Resta u rant, wo ich mit den Franzosen zu Abend aß, hätte an diesem Tag eigentlich e i nen Ruhetag gehabt, machte aber extra für uns auf. Der Chef kam zu verabred e ten Stunde, sperrte auf, kochte, servierte und unterhielt uns den ganzen Abend vortrefflich charmant. Und das alles für nur hundertdreißig Euro Umsatz.
Am kommenden Tag tauchte Junzos Tagebuch immer noch nicht auf. Nachdem das Haus leer geworden war, durchsuchten wir noch einmal die ganze Herberge, alle Abfallkörbe und sahen unter den Betten nach. Keine Spur von den Büchern. Junzo, der wie ich heute einen freien Tag nehmen und ruhen wollte, war davon so angewidert und
Weitere Kostenlose Bücher