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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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übernachten? Aber es half nichts. Auch wenn ich mit den Franzosen bisher nur bestens auskam, hier war ich unten durch. Also verzog ich mich in den Schla f raum, und sammelte unterwegs auf dem Treppenabsatz vor dem Kaminzimmer meinen Pulli vom Boden auf. Ich vergaß ihn vorher im Kaminzimmer auf dem Stuhl, und man schmiß ihn – aus Gründen, die mir verborgen blieben - einfach vor die Tür hinaus. Aber was soll’s? Der alte Pulli ertrug die Behandlung mit Würde und ohne Schaden, und ich hatte ihn wieder.
Molinaseca, km 2734
    Ich schlief in dieser Nacht keinen gerechten Schlaf, wachte mehrmals auf und mußte am Ende den überfüllten, unruhigen Schlafsaal verlassen, um im Hof auf der Veranda nach Luft und Raum zu suchen. Aber es goß aus allen Röhren, der Sturm rüttelte an den Balken, und ich machte mir Sorgen um den kommenden Tag, wenn es denn so weiter bleiben sollte. Wie konnte ich denn so blöd gew e sen sein, in Savoyen die schöne feste Bergwanderhose nach Hause zu schicken? Und überhaupt, mußte ich über ein Gebirge, so schien dort gerade ein Weltu n tergang zu herrschen. Wie bestellt! Wie kam ich denn dazu? Ich nahm mir vor, später den netten Herbergsvater zu fragen, ob er nicht ein passendes vergessenes Beinkleid verschenken möchte, und ging danach etwas beruhigt wieder schlafen. Beim Frühstück wagte ich dann die Frage, als er an meinem Tisch vorbeikam, um guten Morgen zu wünschen. Da strahlte der Mann vor Freude auf und rief, das sei der wahre Geist des Camino, dieses Leiden, diese Erniedrigung, wenn der Pilger, kalt und hungrig, aus letzter Kraft mit blutigen Füßen über den Fe l sen schlürfe. Da stehe er dem Herrn am nächsten, da sei er dem Herrn gefällig, da käme er zum Heil. „Das ist dein Camino!“ gratulierte er mir zu meinem Glück und wünschte, der Sturm möge nicht zu schnell nachlassen und es vie l leicht auch noch bißchen schneien. Das konnte er doch nicht ernst meinen? Wollte er mich verspotten, fragte ich ihn. Auch bar des Taktgefühls, habe er nichts von Mitleid gehört? Er hätte doch einfach Nein sagen können. Da tat er erstaunt, wie sei ich denn im Leben so grämlich und mißmutig geworden, we l ches Unglück habe mich denn getroffen und so schlecht gemacht. Schließlich packte er seine australische Helferin, hängte sich bei ihr ein, und sie sangen ein Couplet, dabei die fetten Schenkel hochwerfend und hin und her schunkelnd wie einst die halbnackten Weiber im Moulin-Rouge vor dem verkrüppelten To u louse-Lautrec. Es war sehr peinlich. Lieber unterließ ich jede weitere Unterha l tung, sei auch nur über das Wetter, bis ich endlich aus der Tür war.
    Das allerdings war ein Sprung ins kalte Wasser. Die Temperatur betrug rund vier Grad, und kaum verließ ich den Schutz der Häuser, trieb schon der Wind den Regen unter den Poncho bis an die Shorts. Oberhalb aber blieb ich trocken, was mit der leichten Langhose, die ich noch besaß, doch nicht anzuziehen wa g te, nicht lange der Fall wäre, denn die saugte das Wasser wie ein Schwamm auf. Ich fügte mich dann schnell in diese Lage und machte das Beste von dem schmalen, steinigen Pfad vor mir und der kargen Landschaft um mich herum. Ich war Aibo, der japanische Roboterhund, meine Waden waren aus Stahl, mein Gesicht war ein Kiesel, und die Elemente konnten mich am Buckel kratzen. So überholte ich etliche Pilger, die trödelten, entsetzlich froren und nicht wußten, wie sie den Pilgerstab und den Hut auf einmal halten sollten. Der Wind riß an allem recht wütend herum, so daß darin nicht nur die verkümmerten Büsche, sondern auch einige Schafe bedenklich wankten. Sie taten mir freilich nicht den Gefallen, sich mitreißen zu lassen und die Wiese hinunter ins Tal zu kullern. Dort aber, in einer Häuserruine, die zwischenzeitlich von der saftigen Wiese z u rückerobert wurde, grasten friedlich, vor Wind und Wetter geschützt, ein paar Pferde, und für die Schafe wäre dort auch noch Platz gewesen. Ein sehr romant i sches Bild, wie von Sir Walter Scott gezeichnet.
    Trotz allem war ich froh, nach der endlosen Meseta wieder in den Bergen zu sein und lobte den Herrn: „Herr, deine Schöpfung ist überall groß, doch deine Berge und deine Küsten, darin hast du dich übertroffen, das könnte niemand besser als du.“ Es kam mit Freude aus vollem Herzen, und es muß ihm wohl g e fallen haben, da er nun wieder zu mir kam, mich durch das besonders armselige Dorf Foncebadón begleitete und zum Cruz de Hierro führte. Das ist ein

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