Bis ans Ende der Welt (German Edition)
nur kleine Fische. Und so gingen wir weiter und weiter, immer ti e fer in die Altstadt eintauchend, bis ich dann - nach einer letzten engen Gasse – plötzlich vor der Kathedrale stand.
Die Glocke rief zur Zehnuhrmesse auf. Dazu war ich noch nicht bereit - zu au f geregt. Bis zur Pilgermesse um zwölf Uhr war es noch reichlich Zeit. Und es gab Formalitäten im Pilgerbüro zu erledigen. Ich rechnete nicht damit, daß der Herr mitkommen möchte. Plätze wie diesen liebte er, hier fand er gleich Betät i gung. Aber mein Behördengang war notwendig, wenn ich die Pilgerurkunde h a ben wollte. Welches Interesse sollte der Herr denn an einem Büro haben? Aber er ging mit und tat genau das, was ich dachte, er werde es draußen, auf dem b e lebten Platz tun. Das Pilgerbüro schien ihm zu gefallen. Er ging wie üblich von einem zum anderen, schien auf eine geheimnisvolle Art mit den Menschen zu kommunizieren, manche berührte er gar, was sie gleich froh und beschwingt machte. Es waren nur ein paar Pilger da, und ich unterhielt mich eine halbe Stunde mit einer hübschen spanischsprachigen Amerikanerin, die dort aus i r gendeinem Grund angestellt war, fragte sie nach dem Pilgergeschäft und dem Persönlichen aus. Sie erzählte mir, daß bereits hundertzwölftausend Pilger in diesem Jahr eine Pilgerurkunde erhielten und man bis zum Jahresende mit we i teren zwanzig Tausend rechnet. Umständlich deponierte ich das Gepäck im Hi n terzimmer und dolmetschte anschließend noch ein wenig am Telefon, weil ein paar Deutsche ihre Pilgerbücher verloren und neue besorgen wollten und nicht wußten, wo. Niemand im Pilgerbüro wußte etwas und schien sich deshalb keine grauen Haare wachsen zu lassen. Und eigentlich auch die betroffenen Deutschen nicht, so daß ich am Ende ganz verlegen wurde. Habe ich womöglich etwas ve r säumt, habe ich alles richtig gemacht? Nein, der Herr war hier und nahm alle Sorgen von uns.
Er verließ mich erst in der Kathedrale. Sie ist so großartig, so wundervoll, wie es sich die Millionen Pilger in der Geschichte des Jakobweges nur erträumten, und es nie bereuten, all die Strapazen auf sich genommen zu haben. Trotz des vielen Barocks wirkt sie keineswegs kitschig, wie es viele spanische Kirchen eben tun. Im Gegenteil, der Eindruck ist der von Einfachheit und Erhabenheit. Unter all den vielen wundervollen Kirchen, die es gibt, ist diese Kathedrale ohne Zweifel etwas Besonderes. Romanik, Gotik und Barock entfalten jede für sich und alle zusammen vortreffliche Wirkung. Und doch sind sie alle nur ein Kleid für den Raum. So wie Notre-Dame in Le Puy-en-Velay , Sainte-Foy in Conques , der Raum machte den größten Eindruck auf mich. Raum des Glaubens, Raum des Geistes, Raum für meine Füße. Du schaffst meinen Schritten weiten Raum, me i ne Knöchel wanken nicht. [81] In diesem romanischen Raum ging der Herr auf. All das vorausahnend, plante ich eine kleine, fromme Besichtigung und Einkehr. Doch hier drinnen wartete eine dichte Menschenmasse auf die Messe - wogend, rauschend, staunend, aus tausend Kameras blitzend und klickend. Eine Kloste r schwester übte am Altar mit den Besuchern die Meßgesänge ein. Sie hatte eine sehr schöne Stimme, was mir Mut machte. Und Mut brauchte ich. Die Sitzbänke waren schon alle belegt, die Gänge und Seitenschiffe auch. Es überraschte mich, damit habe ich irgendwie nicht gerechnet. Wo kamen all diese Leute plötzlich her? Keiner auf dem Weg, keiner im Pilgerbüro, die Altstadt nicht einmal b e sonders voll von Touristen. Aber ja doch. Überall war es leer, weil alle hier w a ren und die emporragenden Säulen, die hohe romanische Wölbung, den edlen Apostel, das silberne Weihrauchfaß bestaunten. Eine Besichtigung in stiller Eh r furcht war nicht möglich. Statt dessen, wollte ich nicht während der ganzen, g e wiß langen Messe stehen, und das wollte ich auf keinen Fall, mußte ich mir jetzt sofort einen geeigneten Sitzplatz suchen. Sollte es überhaupt noch einen geben. Und doch fand ich ihn bald gar üppig bemessen neben drei älteren Damen, die allerdings stracks auf die unfeine spanische Altweiberart zu stänkern begangen, der Platz habe für ihre Freundinnen unbedingt frei zu bleiben, diese kämen erst später. Seit wann werde denn in der Kirche Sitzplatz reserviert? Ich habe, um eben diesen Platz einzunehmen, dreitausend Kilometer gehen müssen! Ob sie es denn anders sehen würden? Sie gaben auf, es waren zu schwere Geschütze. Aber zufrieden waren sie nicht. Auch dann
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