Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Fuß zu pilgern. Also quälte ich mich durch den Wald auf einem verfallenen Pfad hinunter. Er war ung e pflegt und nach dem vielen Regen sehr rutschig. Fast hätte ich mir was drauf eingebildet, bis mich eine Gruppe lärmender Schüler in billigen Latschen l a chend und schreiend locker überholte und somit etwas demütiger machte. Dann ganz unerwartet kam die Stadtmauer, ein mittelalterliches Tor mittendrin. Br e genz am Bodensee, einst das antike keltische Brigantion, Heimathafen einer r ö mischen Kriegsflotte. Schon fünfzehnhundert Jahre vor Christus wohnten hier Menschen. Bregenz verzauberte mich. Graue Steine, Geranien und blauer Hi m mel. Die Gassen klapperten anmutig mit altem Pflaster. Bregenz im Juni. Weit, weit war die nächste Kuh, und die Luft roch nicht nach Jauche. Mit Befremden sahen mich die Touristen in den Straßencafes an. Ich sie auch. Wir alle haben wohl zu viele Rinder gesehen.
Die Stadt gab seinen Charme, doch für den langen Weg zum Zisterzienserabtei Mehrerau war es nicht genug. Der trockene Marsch durch die Vororte gab mir den Rest. Schweißgebadet stand ich schließlich an der Klosterpforte. Ich wart e te. Das Kinn fest an den Wanderstab gepreßt, damit mir der Kopf nicht hinunter fällt. Ich war todmüde und hätte ohne weiteres in der nächsten Ecke zusamme n gerollt einschlafen können. Sehr gerne sogar. Doch ich mußte warten. Pater Gunther schaffte es diesmal nicht, ein Zimmer zu reservieren. Ausland sei schwierig. Aber man nahm mich auch so sehr freundlich auf. Ich nahm es gela s sen, denn ich wußte mich in Gottes Hand. Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er läßt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu se i nem Namen. Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein U n heil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher. Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang, und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit. [13]
Die Abtei ist ein typisch barocker Klosterbau. Weite Gänge, imposante Decken, altes Holz, ein wunderschönes Refe k torium. Nur die Kirche ist so, wie man sie kaum kennt. Kahl und grau, ohne den gerin g sten Schmuck. Nichts soll das Auge vom Kreuz ablenken, keine Form und keine Farbe. Ich muß recht dumm g e schaut haben. „Als wir renovieren mußten, wollten wir wieder zurück zum U r sprung,“ belehrte mich der Prior. Er wußte wohl, was ich dachte. Nicht kahl d a gegen war das Abendessen. Es war reichlich, schmackhaft, und es gab sogar Wein dazu. Der heilige Benedikt, Vater und Lehrmeister der Mönche, b e klagte, Wein sei überhaupt nichts für Mönche, doch man könne Mönche davon nicht überzeugen. Da war ich an diesem Abend sehr froh darüber. Ich trank seit la n gem nichts als Wasser und Kaffee. Vergelt's Gott für den Wein! Ich hatte ihn nötig.
Die Schweiz
Herisau, km 442
Ich hätte in Mehrerau auch länger bleiben mögen, aber der Fluß und der Pilger bleiben nicht stehen. Immer weiter geht der Weg. Es kam mir in den Kopf, wie ein richtiger Pilger mit dem Schiff über den Bodensee zu fahren. A l lerdings nur bis nach Rohrschach. Die Staatsgrenze nicht mitgerechnet, sind es von der Abtei aus keine dreiundzwanzig Kilometer. Zwanzig Minuten mit dem Auto oder e i nen Tag zu Fuß. Doch Schiffahren darf und soll der Pilger. Das hö r te ich mal in einem Vortrag. Also marschierte ich früh wieder zurück zum Hafen und freute mich auf die Fahrt. Vielleicht zu früh. Der See hüllte sich wieder in Nebel, ein frischer Wind wehte Nieselregen in Schleiern heran. Eine Stunde wartete ich frierend am Steg, bis das Schiff nach Lindau kam. Um nach Rorschach zu kommen, mußte ich nämlich erst zurück nach Deutschland fahren und dort u m steigen. Ein Umweg völlig vergeblich, aber nicht umsonst. Ich durfte ihn ja b e zahlen.
Nach dem schläfrigen Bregenz machte der Lindauer Hafen jede Menge Streß, und ich war froh, gerade noch rechtzeitig das richtige Schiff zu finden. Zwei junge Uniformierte am Eingang gaben einen feschen, strammen Eindruck der Schweizer Wehrhaftigkeit ab. Froh gestimmt, das Schiff doch erreicht zu haben, bot ich ihnen großzügig den Personalausweis an. „Haben Sie denn einen?“ fra g ten die Ordnungshüter nicht unfreundlich. Ich bejahte. „Das ist die richtige
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