Bis ans Ende der Welt (German Edition)
jeden, ganz ohne Hast und ziemlich genau, immer bereit, dort einzuschreiten, wo Deutschlands freiheitliche Ordnung in Gefahr geriet. Vielleicht konnte man die Gedanken l e sen. Wo ich gerade im Begriff war, mich des illegalen Grenzübertritts schuldig zu machen. Freilich nur aus Glaubensgründen. Doch hier nahm man alles sehr genau. Damit habe ich nicht gerechnet, darauf war ich nicht vorbereitet. Immer wieder passierte ich Schilder, welche die Hunde davor warnten, ihre giftigen Fäkalien auf die Wiesen zu schippen. Die Kühe würden krank davon. Ich wies die Blase an, bis Österreich sparsamst zu produzieren. Nicht, daß durch meine Schuld die gute Allgäuer Milch noch sauer wird, mit wer weiß welchen Folgen für das Bruttosozialprodukt.
Ich war erleichtert, als ich endlich Scheidegg verließ und durch die Wiesen auf die Grenze zuging. Wie eine dunkle grüne Mauer stand der Bergwald vor mir. Hier ist Deutschland zu Ende. Kurz vor der Grenze bei Oberstein stieß ich auf eine kleine Kapelle aus dem 11. Jahrhundert. Ulrichskappelle heißt sie. Das schien mir ein gutes Zeichen. Nomen omen est. Eine Heilquelle fließt da deutsch ordentlich aus dem kupfernen Wasserhahn. Laut Führer heilt sie allerlei Auge n leiden. Hier dankte ich dem Herrn für die geduldige Begleitung so far. Aber es wurde kein langes Gespräch daraus. Plötzlich herrschte auch hier rege Betrie b samkeit. Plastikkanister schwingend stiegen düstere Gestalten aus dem Wald, um kostbares Heilwasser außer Landes zu schmuggeln. Schweigend, nicht gr ü ßend, zielstrebig. Eine Ameisenkolonne nennen es die Grenzer. Aber die waren nicht da, die hielten Scheidegg im Schach. Wegen der pinkelnden Hunde? Vie l leicht. Vielleicht wußten sie gar nicht, was hier an der Front so los ist. Hätte ich zurücklaufen und es melden müssen? Der Heilwasserklau war womöglich eine meldepflichtige Straftat. Statt dessen ergriff ich die Flucht nach vorwärts. Ich folgte den Schmugglern steil bergaufwärts durch den schlüpfrigen Hohlweg, der nach einigen Hundert Metern im öster reichischen Möggers endet, und sah zu, wie die Kanister in Fahrzeuge umgeladen und ins Landesinnere abtransportiert werden. Die Kirche in Möggers, eine solide steinerne Feste, war verschlossen, und ich konnte da den Herrn nicht aufsuchen und fragen, wie er darüber denke. Womöglich aber hatte er nichts dagegen, wenn Österreich seine Kurzsichtigkeit heilte, sei es auch mit geschmuggeltem Wasser aus der Ulrichquelle. Da rissen die Wolken auf, die Sonne strahlte, und es blieb schön, bis ich am nächsten Tag Österreich verließ.
So sehr, daß ich bald einen Sonnenbrand bekam. Der Hochwanderweg zum Pfänder, der über Bregenz thront, dauerte immerhin noch einige Stunden. Er war anstrengend, doch ästhetisch ein Genuß. Und die Aussicht über den Bodensee war geradezu traumhaft. Angeblich seien zweihundertvierzig Alpengipfel von hier zu sehen. Jemand zählte sie genau. Ich nicht. Ich wußte nur, daß ich hier nicht weggehen werde, bis man mich rauswirft. Der Bodensee aus tausend M e tern Höhe, wie weit reicht da der Blick? Wer hat so etwas je gesehen? Ich bin der Herr, der alles bewirkt, der ganz allein den Himmel ausgespannt hat, der die Erde gegründet hat aus eigener Kraft. [11] Ich zog die Schuhe aus und sah der Sonne zu, wie sie hinter den silbernen Weltrand fällt. Nur schade, daß dies kein einsamer Ort ist. Um mich herum tobte und brodelte es heftig. Immer neue To u risten kamen vom Lift her, erklommen atemlos die letzten Stiegen, platzten wie Blasen in Begeisterung auf, riefen und liefen hin und her, machten Fotos, pac k ten Bier- und Limoflaschen aus, um schließlich in das zuvor unterbrochene G e spräch über Fifi, Nachbarn und Urlaubspläne zurückzusinken. Unwissend sind sie und ohne Verstand; denn ihre Augen sind verklebt, sie sehen nichts mehr, und ihr Herz wird nicht klug. [12]
Es war schön, solange es hielt, aber ich mußte weiter. Es war ein langer, a n strengender Tag, der bald zu Ende ging. Mir schien die Strecke nun viel weiter als im Führer angegeben. Fast den ganzen Tag stieg ich gegen den Pfänder an, der über eintausend Meter hoch ist, nun mußte ich nach Bregenz hinunter, das vierhundert Meter unter dem heutigen Ausgangspunkt lag. Man könnte fast hi n unter fallen, so steil ist der Berg. Zumindest kam es mir so vor. Natürlich geht da kaum einer der Touristen zu Fuß, dafür ist eine kommode Seilbahn da. Doch sie ist recht teuer, und außerdem versprach ich ja, zu
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