Bis ans Ende der Welt (German Edition)
mich so sehr zu plagen hatte. Nun freilich aus einer a n deren, bequemeren Perspektive. Der Tag ging dem Ende zu, das Licht fiel weich und sanft auf die verstaubte, kahle Landschaft. Das Silber des Tages verlosch zum stumpfen Grau, die Dämmerung setzte bald ein. Und doch war der Pilge r weg beileibe nicht leer. Mehrere Gestalten zogen noch müde und verdrossen auf dem breiten Streifen neben der Asphaltstraße dahin, wohl solche, die kein Bett bekamen. Die Hoffnung, in der nächsten Ortschaft mehr Glück zu haben, war, wie ich wußte, gering. Und der nächste Ort war noch weit, weit weg. Sie werden irgendwann müde aufgeben und im staubigen Stoppelfeld, ohne Dusche, ohne Abendessen, die kalte Nacht verbringen müssen. Und die Nachttemperatur e r reichte in dieser fortgeschrittenen Jahreszeit fast schon den Gefrierpunkt. „Arme Hunde,“ meinte Armin und blieb noch eine ganze Weile still sitzen, was bei ihm wie ein Ausrufezeichen wirkte. Und auch mir war lange unwohl, als ob ich selbst noch auf diesem trostlosen, unermeßlichen Pfad dahin zöge, verdreckt, verschwitzt, wund und müde, hungrig und durstig. Pures Mitleid. So also sah Pilgern von außen aus.
In der Nacht entkamen wir einer Razzia an der Grenze zu Frankreich, vor der sich der portugiesische Nachbar aus Erfahrung sehr fürchtete. Das brachte mich wieder auf den Boden der Realität. Nicht einmal im Bus war man heutzutage vor den Bütteln sicher. Vorsichtshalber entfernte ich das palästinensische Kopftuch, auf Reisen ein ungemein praktisches Kleidungsstück, das ich mal aus Jerusalem mitbrachte. Mit gutem Grund. Als ich es damals vor zwanzig Jahren kaufte und in einer durchsichtigen Plastiktüte ahnungslos auf der Straße trug, hielt mich am Stadtrand ein israelischer Polizist an, zeigte immer wieder wütend auf das Tuch, belaberte mich lautstark auf Arabisch und Hebräisch und ließ sich nicht davon überzeugen, daß ich keine der Sprachen spreche. Bis mir die Geduld ausging, ich selbst wütend wurde und ihn dort einfach stehen ließ. Auch auf die Gefahr hin, daß er mich von hinten erschießt. Ich war ja im Recht. Aber wiederholen wollte ich es nicht.
In Toulouse stieg Armin aus, und kurz danach, auf einem Parkplatz, wo wir g e schlagene Stunde gewartet haben, ein junges deutsches Mädchen zu. Man brac h te es extra mit einem Wagen hin. Ich hätte gerne mehr über dieses unübliche Service erfahren, doch das Mädchen schlief die ganze Reise bis nach Stuttgart einfach durch, und mir schien es, als ob es eine schwere Zeit hinter sich hätte. Es erinnerte mich an die Tochter meines Freundes Martin, die auch einst nach einer gescheiterten Beziehung nach Frankreich aufbrach, dort spurlos etliche Monate verbrachte und dann, völlig heruntergekommen, das wunderschöne, lange blo n de Haar abgeschnitten und mit roter Henna ruiniert, nach Hause kam. Sie sprach nie über diese Zeit, und war seitdem auch recht merkwürdig. So dauerte mich dieses Mädchen hier, und ich legte eine Fürbitte für sie beim Herrn ein, da er a l les über uns weiß und jede Wunde heilen kann. Dabei hatte ich selbst ein Pr o blem, das immer dringender wurde. Spätestens an der deutschen Grenze war klar, daß wir München in der geplanten Zeit nicht erreichen werden. Als wir dann endlich, bereits mit starker Verspätung, nach Stuttgart kamen, und der Bus unplanmäßig noch einen mehr als dreihundert Kilometer langen Umweg einle g te, schwand die Hoffnung, zu einer noch vertretbaren Nachtzeit anzukommen. Jede halbwegs vernünftige Planung war dahin. Ich telefonierte mehrere Male mit Martin, der erst voller Begeisterung versprach, mich am Busbahnhof abz u holen, dann, mit jeder weiteren Verspätung, immer weniger begeistert war, bis er dann nicht mehr selbst den Hörer abnahm und seine Frau ausrichten ließ, w e gen einer geplanten Urlaubsreise am nächsten Tag nicht mehr kommen zu kö n nen. Im Kloster fand sich auch niemand, der mich abholen würde, wobei Gu n ther und Benedikt schon ihres Alters wegen zu spätnächtlichen Autofahrten nicht taugten. Der Münchner Busbahnhof liegt ziemlich weit vor der Stadt, und zu unserer Ankunft würde vermutlich nicht einmal mehr die S-Bahn fahren. Somit stand mir mit nach zig Stunden Busfahrt auch noch die Nacht im Freien bevor. Ich haderte und schimpfte eine ganze Weile mit dem spanischen Buspe r sonal und ihrer Gesellschaft, kam aber am Ende zum Schluß, der Herr werde mit in dieser Lage genauso helfen, wie er es auf der ganzen Reise getan hat. Der
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