Bis ans Ende der Welt (German Edition)
sprach Französisch, sogar die Frauen waren schöner oder zumindest deutlich attraktiver als im germanischen Teil der Schweiz. Dort lebte und fror ich wie ein Hund, ein Vorbote des sonnigen Frankreichs konnte mir nur recht sein. Kein Freiburg, Fribourg hieß uns auf Französisch willkommen! Von wo über Jahrhunderte der wahre, einzige, katholische Glauben gegen die Wogen der Reformation und Säkularisation verteidigt wurde. Eine ziemliche Menge Bücher, die in der Klosterbibliothek durch meine Hände gingen, kam von hier. Keine einzige verschlossene, kreuzlose Kirche fand ich, alle Gotteshäuser luden offen und eintrittsfrei ein. Den Rucksack am Eingang hinschmetternd verbrachte ich in einer kühlen, großen Kathedrale lange mit Meditieren, Herumschlendern und Gespräch mit dem Herrn. Russen, Koreaner, Ungarn, Japaner und andere kulturinteressierten Weltenbummler waren zumindest an diesem Tage anderswo unterwegs. Ein Wunder wohl. Diese Termiten fressen sich durch Europas Ku l turerbe, nimmermüde besetzen sie auch die langweiligsten Orte der Welt wie I n terlaken, es gibt kein Entrinnen. Wehmütig dachte ich an den ersten und den letzten meiner vielen Besuche in Florenz. Das erste Mal, es muß am Anfang der siebziger Jahre gewesen sein, parkte ich meinen knallroten VW-Käfer, auf den ich sehr stolz war, noch direkt vor dem Palazzo Pitti und sah müßig durch die verstaubten Uffizien, wo es außer uns nur noch drei Besucher gab. Ein Vierte l jahrhundert später wollte ich wieder mal unbedingt den berühmten Perseus mit dem Haupt der Medusa von Benvenuto Cellini sehen, einen meiner Lieblinge. Bereits vor der Loggia dei Lanzi , wo die Statue steht, mußte ich mir den Weg durch schwatzende, schmatzende asiatische Horden bahnen, drinnen war es noch schlimmer. Man konnte nur stehen, ständig drängte sich wer geschäftig vorbei, grölend, schreiend, Wasser aus Plastikflaschen saufend, und als ich mich betört gegen eine Säule lehnen wollte, oh du Schreck, kam gleich ein unifo r mierter Wächter angerannt, entsetzt, ärgerlich: „Wo denken Sie hin, wenn es j e der tut! Es sind Millionen! Auch so müssen wir diese Säule alle zwei Jahre e r setzen. Sie wird weggegriffen!“ Das muß man sich vorstellen, einfach abgegri f fen, eine dicke Steinsäule! Auch der Perseus dort ist nur eine Kopie, er wird wohl alle zehn Jahre von den Kameras einfach weggeblitzt. Addio Pèrseo, addio Firenze! Ich werde euch nicht wiedersehen. Ich habe mich losgemacht, und ihr habt mich freigegeben. Ihr habt die Termiten und die Termiten haben euch. Ich muß euch zu Pfingsten nicht mehr besuchen.
Wieder unterwegs, um einen schönen Stempel im Pilgerbuch reicher geworden, stieß ich auf der Straße gleich wieder auf Christoph, der eigentlich länger in der Stadt verweilen wollte, sich deshalb gar schon förmlich verabschiedete, nun aber wieder auf dem Camino war, und wir zogen gemeinsam weiter. Unterwegs quasselten wir mit Passanten, die einem Schwätzchen mit waschechten Pilgern nie auswichen. Am charmantesten war ein elfjähriges Mädchen aus Angola, das uns eine ganze Weile bis zum Stadtrand begleitete, um im drolligen Französisch über die Welt, die Schule und das Zuhause zu erzählen. Sie war erst kurz in der Schweiz, und alles schien ihr noch frisch und aufregend. Sie hatte den Schwe i zern bereits die guten Umgangsformen abgeschaut, mischte sie aber graziös mit dem deutlich lebhafteren Gemüt, das sie aus ihrer afrikanischen Heimat mi t brachte. „Man, wenn die einmal groß wird!“ stöhnte Christoph beeindruckt, und wir stiegen durch ein sonnendurchflutetes Wäldchen zu einem großen steinernen Pilgerkreuz hoch über der Stadt auf, dem man als Pendant einen riesigen S u permarkt baute. Über den fielen wir sogleich her, die Müdigkeit nicht achtend, und kauften ein, bis sich unsere Rücken bogen, und was wir nicht mehr im Rucksack unterbringen konnten, konsumierten wir in einem ausgedehnten Mi t tagsgelage unter dem Pilgerkreuz. Es ist ja so, daß es auf dem Camino Tausende Kirchen und Kühe gibt, aber nur wenige gut sortierte, körpergerecht klimatisie r te, blitzblank gewienerte Supermärkte mit allem, was man seit Tagen oder gar Wochen vermißte, wo dezent die Musik spielt und adrette Assistentinnen einem beim Griff in die Regale aufmunternd zulächeln, man solle sich doch nicht g e nieren, mehr und noch mehr nehmen, und wo man den Rucksack nicht auf dem verschwitzten, schmerzenden Rücken trägt, sondern ganz kommode im Ei n
Weitere Kostenlose Bücher