Bis ans Ende der Welt (German Edition)
als ob er ausgezogen wäre, um sich in persona ein Bild von der Welt zu verschaffen und darüber ein Urteil zu fällen. Die Sache mit dem Urlaub ging mir dann aber noch eine Weile durch den Kopf, und ich war wohl nicht ganz einverstanden, da ich Urlaub irgendwie mit gutem Essen, komfortablem Wohnen, Faulenzen und Inderlufthängen verband, und das, was ich hier gerade tat, ließ alle diese Attribute bitter vermissen. Es war großartig, jawohl, das größte, das nachhaltigste Ereignis überhaupt, aber ein U r laub? Nein, kein Urlaub! Eine Plackerei.
Wie zum Beweis stand es schon am Nachmittag fest, daß wir an diesem Tag das Ziel nicht schaffen werden. Müde geworden und größere Investitionen scheuend beschlossen wir in einem netten, frommen Dorf, die Übernachtung zu schnorren. Vielleicht hat uns der Blick durch die Glaswände des modernen Pfarrzentrums dazu verleitet. Schöne Teppichböden überall, darauf ließe sich bestimmt wu n derbar schlafen. Und Waschräume gab’s gewiß zuhauf. Der Pfarrer wohnte i r gendwo im ersten Stock. Beseelt und motiviert läuteten wir an der Pforte. Ein junger, behäbiger Mann im Zivil kam. Er kam zwar nicht sogleich, doch er kam, und einmal da, hörte er sich unser Anliegen geduldig an. Dann schwieg er eine Weile nachdenklich. Schließlich erwähnte er zwei gottesfürchtige Jungfer, die gleich gegenüber wohnen und uns gewiß gerne in ihrem Haus aufnehmen wü r den. „Da hätten Sie es viel bequemer. Sagen Sie, daß sie von mir kommen. Wenn dort voll ist, kommen Sie wieder.“ Rasch verschwand er in der Tür, und wir zogen zehn Meter weiter zum gegenüberliegenden Zaun, hinter dem eine Frau mittleren Alters den Garten jäte. Wir erklärten ihr die Lage, was eigentlich unnötig war, da sie vermutlich unsere Unterhaltung mit dem Pfarrer hören kon n te. Nun war sie auch sofort Feuer und Flamme uns aufzunehmen. Obwohl es Haken gab: „Eigentlich ist das Zimmer nur für eine Person, es hat ja nur ein Bett, nun, macht nichts, ihr seid jung, ein großes Bett, eigentlich groß, ja, einer kann auch daneben auf dem Boden schlafen, das geht auch, dafür kostet es nur fünfundzwanzig Franken, das ist der gesetzlich vorgeschriebene Mindestpreis.“ Sie lachte, vielleicht, weil sie das Problem mit dem Bett so klug gelöst hat. „Na ja, bei zwei Leuten macht’s freilich das Doppelte, oder?“ rechnete sie dann gleich nach. Ich wollte unsere Verlegenheit, die groß war, etwas kaschieren und fragte nach einer Dusche. „Nein,“ meinte die Frau entschieden, „nein, alle r dings, keine Dusche, natürlich, woher eine Dusche, nein, wir haben freilich ein Bad, das versteht sich, aber das werden Sie doch einsehen, das können wir ihnen nicht überlassen, wir müssen uns auch waschen, das brauchen wir selbst, aber das Zimmer hat auch ein Waschbecken, groß, komfortabel, da werden Sie z u frieden!“ Wir zogen uns zur Beratung zurück vor die einladenden Glaswände des Pfarrzentrums. Die bereits tiefliegende Sonne beleuchtete das Innere aufs Trefflichste, die Teppichböden sahen neu, sauber und sehr weich aus. Christoph erklärte, er würde nie vor dem Bett „in einem stinkigen Zimmer“ auf dem Boden schlafen wollen. Ich erklärte dasselbe. Daraus ergab sich ein unauffälliges We g gehen. Außer Sichtweite gaben wir dann richtig Schritt und sahen uns nicht mehr um. Christoph erzählte von einem Pilgerbuch, in dem sich zwei amerikan i sche Frauen ohne einen Cent in der Tasche auf dem Jakobsweg durch die Schweiz schnorren. Wir stimmten überein, daß es hierzu außergewöhnliche Pe r sönlichkeit bedürfte.
In der nächsten Stadt, sie hieß Tafers, wußten wir es schon besser und ließen den Pfarrer in Ruhe. Warum den guten Mann in Versuchung führen? Der Herr war ja mit uns. Treu der guten katholischen Tradition besuchten wir erst die Kirche, dann aber die Kneipe. Nichts als Käse, Brot und Wasser seit langer Zeit. Die Entscheidung fiel spontan und einstimmig. Gegen die Geschmackdeprivation! Zum Teufel mit den Schweizer Preisen! Ich aß eine Pizza und trank vier riesige Coca Cola. Meine Hände zitterten schon, wenn das nächste feuchte Glas mit dem köstlichen Getränk auf den Tisch kam. Die Eiswürfel schellten wie kleine Silberglocken. Möglicherweise sah es für andere etwas seltsam aus. Oder auch nicht. Im Hintergrund lief auf einem Riesenbildschirm Fußball - womöglich wieder die Türken? Die Gäste waren abgelenkt, und der Bedienung war alles egal, solange die Kasse stimmte. Wir zogen den
Weitere Kostenlose Bücher