Bis ans Ende der Welt (German Edition)
wurde sie von den Alemannen besiedelt. Irgendwo zwischen Amsoldingen und Wattenwil traf ich Christoph wieder, einen jungen Burschen aus Deutschland, den ich das erste Mal kurz vor Einsiedeln sprach. Er hatte sich dem Übernachten im Freien verschrieben, wohl aus Kostengründen, schlief i r gendwo auf dem Betonboden in Schulhöfen oder vor Kirchen. Er trug eine ries i ge rote Mähne, wie sie auf Jamaika oder in Marokko geflochten wird. Mir schien es sehr exotisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man so etwas bei all dem Schweiß und Staub unterwegs handhabt, vor allem, wenn man nicht zwe i mal täglich duschen kann. Vielleicht hatte er einen anderen Stoffwechsel oder was, wenigstens brauchte er keinen Sonnenhut. Gutgelaunt kamen wir zu einem Schloß, wo offenbar eine große Feier stattfinden sollte. Adrette junge Burschen in weißen Hemden und schwarzen Hosen, die aussahen, als ob sie selbst zur G e sellschaft mit gehörten, regelten das Parken auf einer Wiese. Wohl keines der hier abgestellten Fahrzeuge war als gewöhnlich zu nennen, der eine oder andere Rolls Roys war dabei und bei einigen Wägen wüßte ich nicht die Marke zu s a gen. Aus Übermut spielten wir geladene Gäste, spinnerte Exzentriker, denen es beliebte, zu Fuß mit dem Rucksack anzureisen. Ich stellte mich förmlich mit a l len Titeln vor, Christoph erklärte ich zu meinem Diener und Bodyguard und drängte darauf, angemessen versorgt und untergebracht zu werden. „Ist der Chauffeur wirklich noch nicht da gewesen? Echt seltsam.“ Das brachten wir mit großem Ernst auf die leichte Art vor, so daß wir nach einer Weile die Burschen kirre machten, sie nicht mehr weiter wußten und angestrengt die Gästeliste ko n sultierten. Der Herr lachte irgendwo hinter den hundertjährigen Linden, und uns allen war wegen des Schwankes wohl zumute. Leicht und einfach war alles, es gab keine Sorgen, keinen Gram. Die Welt war ein Schloß in Feier. Keine gr o ßenwahnsinnigen Bauern mit Riesentraktoren verpesteten die Landschaft mit penetranter Geschäftigkeit und tonnenschweren Güllekübeln auf Ballonreifen. Die Wiesen blühten unter dem weißblauen Himmel einfach nur so vor sich hin, die Vögel machten den ganzen Lärm, der notwendig war, um sich nicht etwa vor Stille zu fürchten. In irgendeinem menschenleeren Ort übernachtete ich in einem sehr praktisch und komfortabel eingerichteten Kellerzimmer, das nicht einmal zu teuer war. Christoph hätte dort auch schlafen können, vielleicht sogar gratis, da unbemerkt, doch er zog das Sportgelände der örtlichen Schule vor. So währt man auch Privatsphäre.
In den vier Monaten auf dem Weg stieß ich etliche Male auf Menschen mit e i nem gesteigerten Bedürfnis nach Alleinsein und Abgrenzung vor den anderen. Meist war es harmlos, doch es reichte bis zu Penetranz, Redeverbot, unverhüllter Feindseligkeit. Nicht wenige trugen außer dem Rucksack noch Kummer und Bürden, persönliche Krisen und andere unverdaute Fälle auf dem Buckel. Vie l fach gaben sie den Ausschlag, den Camino zu nehmen. Sie mochten mehr als das Gepäck gewogen, schmerzhafter in die Schultern als die Rucksackriemen geschnitten, mehr als die blutigen Blasen auf den Füßen gebrannt haben. In Sp a nien gibt auf dem Camino es eine Stelle, wo man den Stein zurüc k läßt, den man als symbolische Last und Bürde mit auf den Weg nahm. Häufig wurde ich u n terwegs nach meinem Stein gefragt. Der Brauch war mir zuvor nicht bekannt, und die Frage machte mich verlegen. Wie groß hätte mein Stein denn sein mü s sen? Irgendwie hat wohl jeder sein Kreuz zu tragen. Doch mir war Gesellschaft auch im Kummer ein Trost. Wo sie sich anbot, habe ich sie nie zurückg e wiesen. Nie wollte ich unbedingt allein sein. Warum auch. Ich war ja meist a l lein, das war genug. Wollte es jemand anders haben, wollte ich nicht zu hochnäsig sein. Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. [21]
Christoph war nur ein milder Fall des Starrsinns, noch jung und suchend, mit Potential, eigentlich gut zu ertragen. Wir sahen uns gerne am nächsten Morgen wieder irgendwo unterwegs, redeten viel, liefen auch weite Strecken schwe i gend. Ich sprach von meinem Unfall und wie es zu dem Gelöbnis kam, und Christoph erzählte, er wandle den Camino teils aus Glauben, weil er zur Kirche gehe, aber es sei auch ein billiger Urlaub für jemanden wie ihn, der jung ist, re i sen möchte und nicht viel Geld hat. Es sah aus,
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