Bis ans Ende der Welt (German Edition)
tief und friedlich. Kein Schnarchen, kein Stöhnen, keine spitzen Schreie, nur ein volles, befreites Atmen des Statthaften war zu vernehmen. Ich stand leise auf, ging duschen und rasi e ren, doch als ich zurückkam, waren sie alle schon wie am Weggehen. Ich fragte mich ernsthaft, ob es doch nicht zu eitel sei, jeden Tag zweimal mit der Körpe r pflege Zeit zu vergeuden. Aber dann verwarf ich die eitle Selbstprüfung und ging lieber frühstücken. In der Schweiz war ein Frühstück immer im Preis der Übernachtung mit inbegriffen, dabei reichlich und gut. Sogar in einer Jugen d herberge. Es gab Säfte und Kaffee, Käse und Wurst, Müsli und Joghurt. Von a l lem reichlich und in guter Qualität. Kein schlechter Start in einen Tag, von dem man nie wußte, was noch kommen mag. Hier aber stand der Koch Aufsicht, d a mit einer nicht etwa zu viel nahm. Auch mußte ich gleich wieder zurück aufs Zimmer, um den Zahlbeleg zu holen, denn offenbar kamen da auch irgendwe l che Penner, um sich illegal am Büfett zu vergreifen. Ich schämte mich fast, eine zweite Tasse Kaffee zu verlangen, aber ich bekam sie freundlich lächelnd g e reicht. Da schau mal her, die Schweizer! Der Herr ließ meine kleinliche Befa n genheit einfach nicht gelten.
Ich stieß noch einmal auf die Spanier, die immer noch durch die Gegend rannten und Tüten in Rucksäcke stopften, und ging die Stadt besuchen. Dies freilich mehr gepreßt als im freien Entschluß, da eine jede Jugendherberge ihre Zimmer den Tag über schließt, damit die Gäste nicht wie in irgendeinem Hotel faul h e rumhängen. Mir wäre es nicht ganz zuwider. Wer wochenlang zu Fuß unterwegs sei, könne auch mit gutem Recht einen Tag auf der faulen Haut liegen, war me i ne Devise. Dann aber fand ich immer mehr Lust und Vergnügen an dem unfre i willigen Stadtbummel. Genf war es bestimmt wert, besucht zu werden. Über den lebhaften Geschäftsstraßen, bestückt mit glänzenden Mode- und Uhrenbo u tiquen, lagen stille alte Gassen, in denen man kaum einen Touristen sah. Die recht zahlreichen kleinen Hotels, Restaurants, Antiquitätengeschäfte und Galer i en besagten, daß es sie gab, und zwar von der betuchten Sorte. Nicht aber an diesem Tag. Ich trieb mich stundenlang herum, saß entspannt in einem kleinen Park hinter dem Rathaus und sah den Angestellten zu, wie sie zu Mittag manie r lich diszipliniert Salat und Baguette aßen und Wasser aus kleinen Flaschen tra n ken. Im Vergleich dazu schien mir meine Literpackung kühler Frischmilch g e radezu unverschämt üppig. Ich trank sie trotzdem mit Vergnügen, las dann ein wenig in der Bibel und sann über das Gelesene und Gesehene nach. Ich hatte ja die ganze Zeit der Welt. Deutschland und Schweiz passierte ich schon, Fran k reich lag zum Greifen nahe, ich war gesund und munter, wenn man von klein e ren Blessuren absah, und der Herr war mir nie zu fern. Schön war der Tag, und viele andere schöne Tage lagen noch vor mir, auf die ich in Hoffnung und Z u versicht einfach nur zu warten hatte.
Dann aber erinnerte ich mich, daß ich hier in Genf noch eine wichtige Beso r gung vorhatte. Einst kaufte ich nämlich eine teuere Schweizer Uhr, mit der ich aber nie so richtig froh wurde, weil sie sich verspätete. Normalerweise kauft man sich keine solche Uhr und hat sie auch gar nicht nötig. Es gibt genug gute preisgünstige Uhren auf dem Markt. Solche kann man zum fairen Preis auch r e gelmäßig reinigen und notfalls nachstellen lassen, wenn es mechanische Uhren sind. Oder man besorgt sich einfach eine neue Uhr. Wir sind ja eine Wegwer f gesellschaft, Plunder sammeln wir nicht. Doch einen Schweizer Chronographen schmeißt man nicht weg, dazu war er viel zu teuer. Den kann man sogar noch beim Pfandleiher versetzen. Doch die Wartung eines so prominenten Gege n standes muß offenbar dem Anschaffungspreis angemessen sein. In diesem Fall kostete das Reinigen und Einstellen gleich mehrere Hundert Euro, und das sah ich nicht ein. Dafür hätte man eine ganze Schulklasse mit Uhren versehen kö n nen. Beim Kauf wurde das natürlich nicht erwähnt. Also nahm ich mir vor, ganz ernsthaft, eines Tages, wenn ich gerade in Genf bin, werde ich diese Firma au f suchen und dort, sozusagen an der Quelle, meinen Unmut äußern. Natürlich ve r sprach ich mir keinen Profit davon, so naiv war ich nicht. Aber trotzdem, es war ja eine Genugtuung, ein Plaisier sozusagen. Ich machte mich also gleich auf den Weg und erklärte zu gegebener Zeit einer attraktiven, höflichen
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